Liebe Freunde,
seit dem 5. November sind wir in Avignon. Wir genießen die Sonne und
die Wärme in Frankreichs Süden und denken an Euch, die Ihr graue
Novembertage ertragen müsst. Vier Wochen sind seit dem letzten Bericht
Nr. 8 vergangen, und wir haben schon wieder eine ganze Menge gesehen, daher
hier der
Bericht 9
Unterwegs auf der Saône und der Rhône
12. Oktober bis 12. November 2006
Unsere Fahrt durch den Kanal de Bourgogne
endete in St. Jean de Losne, einem kleinen Städtchen mit einem großen
Hafen. Während es in den Niederlanden überall Bootswerften mit
jedwedem Service und mit allem Zubehör für Sportboote gab, bekommt
man in Frankreich selbst in den großen Städten nicht mal eine
Inbusschraube. So sprach jeder Freizeitskipper unterwegs begeistert von
dem Laden „H2O“ in St. Jean de Losne. Tatsächlich gibt
es hier fast alles, was das Herz begehrt, sogar Mechaniker werden vermittelt
und Werften sind auch da. Per möchte daher zwei Basteltage einlegen.
Er überprüft und überholt die Technik, es wird geputzt,
geräumt und die Vorräte werden aufgefüllt. Per schließt
die Heizungsumwälzpumpe an (der Warmwasserboiler fungiert als Wärmetauscher),
jetzt können wir das Schiff heizen, indem das Wasser, das während
der Fahrt durch die Motorabwärme erhitzt wird, gleich noch durch
die Heizkörper fließt. Genauso funktioniert es auch bei Landstrom.
Das lohnt sich besonders, weil in Frankreich der Strom entweder kostenlos
oder pauschal in der Liegegebühr
enthalten ist.
Am 14. Oktober legen wir nachmittags ab und freuen uns daran, mal wieder
auf einem Fluss zu fahren, der breit und langsam dahin fließt. Allerdings
sehen wir auch an Brückenpfeilern
und Bojen viel Treibholz – ja sogar ganze Baumstämme. Sie machen
deutlich, warum die Saône noch kürzlich für den Schiffsverkehr
gesperrt war. Einen teuren Nachtplatz finden wir an den Steganlagen von
Seurre, einer nicht besonders reizvollen Stadt. Am nächsten Tag geht
es 20 km weiter bis nach Verdun-sur-le-Doubs, wo wir in den Doubs einbiegen.
Hier fahren wir gegen die Strömung an, sie hat etwa 2 km/h. Die Flussfahrt
ist sehr romantisch, die Ufer sind gesäumt von Büschen und Wald -
kein Haus, keine Straße. Aber bis in eine Höhe von 2 bis 3
Metern über dem heutigen Wasserspiegel sehen wir Ablagerungen von
Schlamm, Ästen und anderem Schwemmgut. Auch der Doubs war noch vor
1 Woche gesperrt. Bald findet sich ein hübsches Fleckchen zum Anlegen,
und nach langer Zeit bleiben wir zu unserer und zur Freude von Kater Felix
mal wieder mitten
in der Natur. Am nächsten Morgen ist alles eingehüllt in dicken
Nebel. Erst um 10 h kämpft sich die Sonne durch, und wir fahren noch
ein Stückchen den Fluss hoch. Das Tal des Doubs ist für seine
landschaftliche Schönheit berühmt, aber schiffbar ist er leider
nur 12 km, dann müssen wir zurück. Mit dem Strom sind wir rasch
wieder in Verdun-sur-le-Doubs, einem hübschen Ort oberhalb des Zusammenflusses
von Saône und Doubs. Nach einem Spaziergang fahren wir auf der Saône weiter
bis Chalon sur Saône. Eine große Marina liegt gegenüber vom
Ort, und am Steg kommt uns gleich ein Mann entgegen, der meint, Schiffe
über 15 Meter dürften hier nicht anlegen. Ich sage ihm strahlend,
das würde ja gut passen, denn „Moses“ sei genau 15 Meter
lang. Er glaubt mir kein Wort, lässt uns aber schmunzelnd festmachen.
(Tatsächlich haben wir ohne Ruderblatt eine Länge von 16,40
m). Wir machen uns mal wieder mit den Fahrrädern zu einer Stadtbesichtigung
auf. Es ist eine lebhafte Stadt und anscheinend auch Ausgangspunkt für
Flussreisen mit großen Hotelschiffen. Am nächsten Morgen ist
wieder dicker Nebel. Erst gegen Mittag hat die Sonne gesiegt und wir können
weiter. Anfangs stehe ich am Steuer, die Landschaft ist flach, die Fahrt
geruhsam, nur dem Treibholz des Hochwassers
weiche ich möglichst aus, damit es uns nicht in die Schraube kommt.
Aber plötzlich bläst mir Wind kräftig ins Gesicht, die
Kronen der Bäume biegen sich, auf dem Wasser bilden sich weiße
Schaumkronen. Ich fühle mich unsicher und unbehaglich und bitte Per
das Steuer zu übernehmen Der Kahn stampft heftig, das aufspritzende
Wasser wird bis ans Steuer geweht. So macht das Fahren keinen Spaß.
Erst kurz vor Tournus lässt der Wind ebenso plötzlich wieder
nach, und wir legen an einem sehr komfortablen und noch dazu kostenlosen
Anleger mit Strom und Wasser an (obwohl auch hier ein Schild verkündet,
dass nur Boote bis 15 m Länge festmachen dürfen). Die Promenade
am Hafen ist von Platanen gesäumt und mit Blumen geschmückt, eine kleine Straße führt direkt in die Altstadt. Der
Bummel durch die Straßen macht Spaß, es gibt viele Geschäfte
mit Kunsthandwerk, wenig ausgesprochenen Kitsch. Vor den Restaurants und
Kneipen sitzen die Leute noch draußen, denn der Wind kam von Süden
und es sind 20°C. Die Hauptstraße zieht sich weit hin und an
ihrem Ende
landen wir vor einer Kirche. Bei der Besichtigung stellen wir fest, dass
es sich um ein Kloster in romanischem Baustil von außerordentlicher
Dimension und Schönheit handelt. Erst als wir wieder an Bord sind,
lesen wir im Baedecker nach und erfahren, dass die ehemalige Abteikirche
zu den bedeutendsten romanischen Sakralbauten Frankreichs gehört.
Tournus gefällt uns so gut, dass wir noch drei Tage bleiben, obwohl
ein weiteres Schild am Anleger den Aufenthalt auf max. 36 Stunden beschränkt.
Am Freitag, unserem dritten Tag, fragt man uns dann aber doch, wann wir
ablegen wollen. Am nächsten Morgen schnell noch ein Bummel über
die Hauptstraße, die heute für einen großen lebhaften
und farbenfrohen Markt komplett für Autos gesperrt ist, dann müssen
wir uns leider von Tournus trennen. Aber die nächste Stadt ist nicht
weit, schon vier Stunden später legen wir gegenüber von Macon
an. Hier steppt wirklich der Bär. Die Altstadt besteht überwiegend
aus Fußgängerzonen, ein kleiner Laden neben dem anderen. Ein
mächtiges Gewimmel von Menschen überall auf den Straßen
und viele deutsche Fähnchen. Es ist sicher eine Stadt wie geschaffen
für einen Einkaufsbummel. In den kleinen Geschäften wird schicke
und bezahlbare Mode angeboten, aber da das für Per und mich nicht
so interessant ist, ermüden wir schnell. Munter werden wir erst wieder,
als zwei kleine Volkstanzgruppen – eine aus Macon und eine aus Neustadt
an der Weinstraße – auf der Straße aufmarschieren und
tanzen. Die beiden Städte feiern an diesem Wochenende ihre 50jährige
Städtepartnerschaft. Wieder am Steg, legt noch ein Schiff vor uns
an, man kommt ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass es David
Edward-May ist, der Autor des Buches „Binnengewässer Frankreichs“,
das natürlich auch in unserer Bordbibliothek steht. Abends sitzen
wir mit David, seinen beiden Töchtern und Schwiegersohn bei uns an
Deck beim Wein, und am nächsten Tag fahren wir gemeinsam weiter Richtung
Lyon. Die Saône hat jetzt etwa 1-2 km Strömung und ist zwischen 100
und 200 Meter breit. Die Ufer sind überwiegend baumbestanden. Ca.
60 km vor Lyon tauchen am Horizont scherenschnittartig Berge auf, etwa
40 km vor Lyon sind sie neben uns und schließlich vor uns. Gegen
13 h kommt wieder Wind auf, der immer stärker wird und schließlich
auf Stärke 5-7 anschwillt. Wir haben ihn genau gegenan, denn er kommt
wieder aus Süden und ist warm. Der Himmel bleibt strahlend blau,
gegen 14 h haben wir 21,6°C. Aber wieder sorgt der Wind dafür,
dass Spritzer bis ans
Steuer kommen und die Regenjacke gebraucht wird. Wir kommen an Trévaux
vorbei, einem Ort, der vom Wasser aus sehr reizvoll aussieht. Wir heben
ihn uns für die Rückfahrt auf, denn alles, was wir jetzt nach
Süden fahren, müssen wir im nächsten Jahr wieder nach Norden.
Ungefähr 70 km liegen heute hinter uns, als wir in Lyon ankommen.
Man fährt zu Anfang nicht durch Industrievororte, sondern die Besiedlung
mit Villen und Einfamilienhäusern geht langsam in städtische
Bebauung über. Bei der Durchfahrt durch die Innenstadt sind wir überwältigt
von den schönen Häusern am Ufer und den ebenso schönen
Brücken, die wir passieren. Neben dem Hausboot „Henriette“
(das auf Seite eines noch größeren Hausbootes liegt), macht
David fest, und wir werden eingeladen auch dort anzulegen. Herr und Frau
Michelin, denen die Henriette gehört, laden David und seine Familie,
aber auch uns auf ein Glas Champagner ein,
und so werden wir in dieser Stadt herzlich aufgenommen. Die Michelins
zeigen uns anschließend ihr Schiff, auf dem einmal 20 Kinder samt
Betreuer und Kapitän untergekommen sind. Entsprechend ist es jetzt
eine vollwertige Wohnung, aber die Beiden wohnen in Grenoble, das ist
nur 1 Std. 20 Min. mit dem Auto entfernt. Wassersport und Skilaufen liegen
also hier dicht beieinander. Unsere Nacht wird mehr als unruhig. Der Wind
hat kein bisschen nachgelassen, Moses wird hin und her geschaukelt. Das
ist nicht so schlimm, aber unter dem Bett ist der 1000 l Frischwassertank,
und in dem schaukelt unter unseren Köpfen das Wasser und knallt gegen
die Wände des Tanks. Ich schrecke immer wieder hoch, Per bleibt schlaflos
und zieht nachts um 3 h in den Salon. Die nächsten
Tage sind sonnig und warm. Die Temperatur steigt auf bis zu 27°C,
vor den Cafés und Restaurants sitzen die Menschen, wir laufen durch
dieses wunderschöne Lyon und sind begeistert. Eine graue Industriemaus
hatten wir erwartet und erleben zu unserer Überraschung eine strahlende
Schönheit. Sehenswert ist nicht nur „Vieux Lyon“, ein
Viertel aus der Renaissance (UNESCO Weltkulturerbe), sondern auch die
vielen anderen Stadtteile, die jeweils ihren eigenen Charme haben. Besonders
faszinierend ist, wie viel Wert auf die Pflege des Stadtbildes gelegt
wird. Im zentralen Geschäftsviertel sind die Häuser hell und
haben reichhaltig verzierte gusseiserne Gitter an Fenstern und Balkonen.
Die Läden in diesen Häusern sind nicht – wie in so vielen
deutschen Städten mit Fachwerkhäusern – störender
Fremdkörper, sondern passen sich in ihrer Gestaltung dem Charakter
des Hauses an. Keine aufdringlich bunte Werbung stört die Schönheit
der Fassaden – keine Satelliten-Schüssel hängt auf einem
Balkon. Wir erfahren, dass das Anbringen von Satelliten-Schüsseln
verboten ist und selbst ein Geschäft wie „Saturn“ sie
daher gar nicht
erst im Sortiment hat. Auch für das leibliche Wohl ist Lyon berühmt.
„Bouchons“, hübsche kleine Restaurants, bieten Lyoner
Spezialitäten zu günstigen Preisen. Zu den Spezialitäten
gehören besonders Würste aus Innereien, warmer Ziegenkäse,
Gänseleber – nicht unbedingt unsere Geschmacksrichtung. Nach
zwei Tagen zu Fuß durch diese großartige Stadt müssen
wir unser Schiff verlegen. Auch hier ist man konsequent, mehr als zwei
Schiffe dürfen nicht nebeneinander liegen. Es gibt überall an
den Kais der Saône kostenlose Anlegemöglichkeiten, allerdings weder
Strom noch Wasser. Außerdem liegen wir nun unterhalb der viel befahrenen
Uferstraße, und nachts wachen wir auf vom lautstarken
Feiern junger Leute neben unserem Schiff. Dafür bekommen wir die
Fahrräder leicht von Bord und sehen so mehr in kürzerer Zeit.
Sehr beeindruckt sind wir von den Arbeiten der „Cité
de laCréation“. Diese Gruppe hat triste Häuserfassaden
zu Kunstwerken gemacht, die Ziele von Touristenbussen sind. Reales und
Gemaltes wird in den Bildern gekonnt verknüpft; manchmal ist es
kaum zu unterscheiden. Schön zu wissen, dass die Gruppe demnächst
auch Hellersdorfer Wände verschönern wird – vielleicht
bekommen wir in Berlin dann eine neue Touristenattraktion. Nach 6 Tagen
Lyon legen wir nur deshalb wieder ab, weil wir wissen - im nächsten
Sommer kommen wir wieder.
Bei Lyon mündet die Saône in die Rhône, und die werden wir in den
nächsten Wochen bis zum Mittelmeer hinunter fahren.
Auf der Rhône kommt Pers neueste technische Idee zum Einsatz. Er hat eine
Konstruktion entworfen und gebaut, mit der Moses per Fernbedienung zu
fahren
ist. Nun können wir im gepolsterten Sessel an Deck sitzen, per Joystick
steuern und das Steuerrad dreht sich wie durch Geisterhand. Nach etwa
3 Kilometern kommt die erste Schleuse mit 11,80 Meter Hub. Damit ist sie
eine der niedrigen, die höchste hat 23 Meter. Unten angekommen, erscheinen die hohen Schleusenwände und
die gigantischen Schleusentore sehr bedrohlich. Daneben nehmen sich die
niedlichen Schleusen der Kanäle mit ihren romantischen Schleusenhäuschen
wie Spielzeuge aus dem Legoland aus. Wir fahren jetzt teils auf der Rhône,
teils auf Kanalstücken, die wegen der Staustufen neben der Rhône
angelegt sind. Bei der Weiterfahrt verlaufen streckenweise sowohl Nationalstraße
als auch Autobahn neben dem Fluss. Entsprechend ist der Geräuschpegel.
Eigentlich wollten wir in Vienne anlegen, es soll angeblich eine hübsche
Stadt sein. Aber der Verkehrslärm ist so stark, dass wir uns zum
Weiterfahren entschließen. Es wird landschaftlich reizvoller, wir
kommen in die Weinberge. Bei km 41 (es zählt ab Lyon) erreichen wir
den Hafen von Les-Roches-de-Condrieu. Hier liegt man ruhig mit einem schönen
Blick auf die Weinberge und auf eine dekorative Brücke. Auch bei
der Weiterfahrt bleiben wir im Gebiet des „Cote du Rhône“.
Große Tafeln mit den Namen der Güter sind mitten in den Weinbergen
aufgestellt. Aber es bleibt nicht so schön, bald tauchen große
Kraftwerke auf, die Berge liegen weit vom Ufer entfernt. Plötzlich
bemerkt Per, dass der Motor nicht genügend Kühlwasser bekommt.
Was tun? Nirgendwo eine Möglichkeit zum Anlegen. Aber Per fällt
immer eine Lösung ein. In seinem schwimmenden Baumarkt ist auch eine
kleine 12 V Tauchpumpe. Mit Hilfe des Peekhakens baut er sie außenbords
an und leitet Wasser über einen Schlauch direkt in den Seewasserfilter.
Auf diese Weise kommen wir bis nach Andanc, wo wir bleiben wollen.
Aber der Anleger hier besteht aus schrägen Wänden, ein sicheres
Festmachen ist unmöglich. Wir entschließen uns zum Weiterfahren,
obwohl die nächste Anlegemöglichkeit noch 20 Kilometer und eine
Schleuse weit entfernt ist. Während der Weiterfahrt gibt es noch
mehrmals Probleme mit Pers Hilfskonstruktion, aber er bekommt sie immer
wieder in den Griff. Auch beim Ort St. Vallier gibt es nur eine Schrägwand
zum Fluss hin. Hier ist das Anlegen sogar verboten. Nach Andac wurde die
Landschaft großartig. Berge gehen bis ans Ufer, teilweise sind sie
bewaldet, teilweise sind es Weinberge und einige wirken mit Gestein und
Gestrüpp dazwischen schon sehr südlich. Ich bedaure es, dass
wir hier nicht einfach irgendwo bleiben können. Gerade mit einbrechender
Dämmerung erreichen wir den kleinen Hafen von Tournon. Er ist nicht
besonders hübsch, und für ein Schiff unserer Länge gibt
es nur eine Anlegemöglichkeit. Hier treffen wir auch das Lehrerpärchen
aus Berlin wieder, die
schon in Lyon mit einem „kleinen Bruder“ von Moses mit uns
am Kai lagen. In Les-Roches-de-Condrieu hatten wir uns auch getroffen
und sind jetzt gemeinsam nach Tournon gekommen. Als wir am Abend erst
an Bord des gemütlichen Schiffes von Andrea und Günther einen
Sherry trinken und später bei uns noch beim Wein plaudern, stellt
sich heraus, dass Per und Günther alte Kollegen sind. Günther
war vor über 15 Jahren noch beim Internationalen Bund (dem ehemaligen
Arbeitgeber von Per) Betriebsrat in Baden-Württemberg, und sie waren
sich bei überregionalen Betriebsratstreffen begegnet. Die Welt ist
doch klein. Am nächsten Morgen ist es deutlich kühler, Wind
ist aufgekommen, diesmal von Norden. Per hat mit der Kühlwasserpumpe
zu tun, aber, nachdem alle Schellen nachgezogen sind, funktioniert die
Motorkühlung wieder. Tournon bietet außer einem dekorativen
Schloss nicht besonders viel, aber Spaß macht eine Tour in die Weinberge
hinter der Stadt. Wir mühen uns mit den Fahrrädern hoch zu einem
Turm, auf dem eine Madonna steht, die schützend ihre Hände über
den Ort hält. Danach wird es steiler, nur noch ein Wanderweg führt
bis zu einer Aussichtsplattform mit einem wunderbaren Blick über
das Rhônetal.
Dann passiert etwas Unvorhergesehenes: Kater Felix ist krank. Die Adresse
eines Tierarztes bekommen wir vom Touristenbüro. Aber wie schaffen
wir Felix dort hin? Wir haben ja nur die Fahrräder, und die Katzentasche
passt nicht in den Fahrradkorb. Also hält Per mit einer Hand den
Kater mit seinen 6,5 kg etwas weg von den Speichen und fährt mit
der anderen Hand. Der Weg ist um einiges länger als gedacht, und
Per macht hartes Krafttraining. Wie die meisten Vertreter der „Grande
Nation“ hat es auch der Tierarzt nicht so recht mit den Fremdsprachen.
Sein Englisch ist schlechter als unser Französisch, daher ist die
Verständigung nicht ganz einfach. Felix hat eine Infektion der Blase.
Mit Spritzen, Tabletten, einem Antibiotikum und Diätfutter sollte
es schnell besser werden.
Am nächsten Morgen kommen wir mit einem Franzosen in ein kurzes Gespräch.
Er erzählt von den Winden auf der Rhône. Da ist einmal der warme
Südwind, der Schirokko, der auch „Wind der Verrückten“
genannt wird, denn er macht viele Leute nervös und gereizt. Dann
gibt es den Mistral, den kalten Wind aus dem Norden, der im Hochsommer
sehr willkommen ist, weil er kalte Luft aus dem Norden bringt. Aber jetzt
ist er nicht so erwünscht, doch für heute Abend hat ihn der
Wetterbericht angekündigt. Das ist für uns kein Problem, denn
bis dahin sind wir im schützenden Hafen. Valence, unser nächstes
Ziel, ist nur 20 km entfernt. Allerdings beeilt sich der Mistral, Der
Wind wird immer heftiger, die Rhône hat weiße Schaumkronen. Als
wir gegen 14 h anlegen wollen, haben wir Mühe das Schiff am Steg
festzumachen. Unser Windmesser zeigt Windstärke 6, wenig später
sind es 10 Windstärken. Der Mistral dauert 3, 6 oder 9 Tage, hat
uns der Franzose gesagt. Erwartungsgemäß
bläst er auch am nächsten Tag unvermindert heftig und es sind
nur 3°C. Obwohl Valence ein teurer Hafen ist, bleiben wir und Per
meint, es wird Zeit für die Konfektproduktion. Er holt seine Zutaten
heraus und zaubert wunderbare Trüffel und Pralinen. Außerdem
sorgt er für leckere Wurst. Die hiesigen überwiegend luftgetrockneten
Würste schmecken uns nicht besonders gut. Per legt Würste und
auch mageren Speck in den Räucherofen, und nach kurzer Zeit sind
wir mit Aufschnitt und frisch geräuchertem Speck versorgt. Am 03.
November ist der Wind abgeflaut, der Himmel wolkenlos, aber es ist wieder
recht kalt. Andrea und Günther lassen ihr Schiff hier bis März
liegen und wollen nach Israel, Indien und Vietnam. Wir ziehen weiter in
Richtung Süden. Wenig später reichen Felsen schroff bis an den
Fluss hinunter, später weichen sie zurück und sind als hohe
bewaldete Hügel mit runden Kuppen etwas von der Rhône entfernt. Allerdings
passieren wir auch ein wenig dekoratives Atomkraftwerk, dann – nicht
direkt an der Rhône – Montelimar, wo man nicht einmal anlegen kann.
Unsere nächste Station ist Viviers. Die Stadt ist außerordentlich
beeindruckend, alte Häuser und oben auf einem Felsplateau ein Kirchenbezirk,
denn im 5. Jahrhundert war Viviers Bischofsstadt. Die Kirche aus dem 12.
bis 15 Jh. ist sehenswert, aber am schönsten ist der Blick von der
Terrasse auf die Stadt, den Mont Ventoux (1912 m hoch) und das Rhône-Tal. Allerdings ist der Wind wieder stärker geworden,
er ist schneidend kalt und lässt uns schnell runter zum Schiff gehen.
Weiter Rhône abwärts geht es vorbei an bizarren Kalksteinformationen.
Einige sind mit Gebüsch bis zum Gipfel bewachsen, bei anderen ragt
der weiße Fels aus dem Grün. Es stehen aber auch wieder Atomkraftwerke
am Ufer. Auf einem der Kühltürme zeigt ein großes Bild
ein mit einer Muschel spielendes Kind. Das unangenehme Gefühl im
Bauch bei der Vorbeifahrt werden wir dadurch aber auch nicht los. Der
Mistral bläst kräftig und bringt bittere Kälte von hinten
- trotz strahlend blauem Himmel. Wir sitzen warm eingepackt an Deck, das
Gesicht nach Süden, der Sonne entgegen, geschützt mit Sonnencreme
und Sonnenbrillen. Das gleißende Sonnenlicht der jetzt schon sehr
flach über
dem Horizont stehenden Sonne macht es schwierig, die Farben der Fahrwasserbojen
zu erkennen. Immer wieder greifen wir zum Fernglas, um uns zwischen Bojen
und Brückendurchfahrten zu orientieren. Nach unserer Karte soll es
in St.-Etienne-des-Sorts einen Anleger geben – denkste. Es dämmert
schon, das Anlegen am Ufer des Flusses ist unmöglich, aber es wird
jetzt höchste Zeit festzumachen. Schließlich finden wir einen
Platz, an dem mal ein Hausboot gelegen hat. Zwei Poller sind noch vorhanden,
aber die Kaimauer ist schräg. Zum Glück hat der Hausbootbesitzer
ein paar Autoreifen hinterlassen, die wir neben Moses soweit versenken können, dass uns die Wellen größerer Frachtschiffe nicht
gegen die Kaimauer dotzen lassen. Noch 40 km bis Avignon. Am nächsten
Tag sehen wir Berge am Ufer, Burgen
auf ihren Kuppen und wieder keine Möglichkeit zum Anlegen –
schade. Am 05. November fahren wir gegen 16 h an der berühmten Brücke
von Avignon vorbei, genau mit dem richtigen Fotolicht. Anlegen kann man
am Kai sehr bequem mit Strom und Wasser, aber leider unterhalb einer viel
befahrenen Straße.
Die berühmte Brücke wurde zwischen 1177 und 1185 erbaut und
ist seit 1668 als Übergang geschlossen, weil die unberechenbare Rhône
einen großen Teil im Laufe der Jahrhunderte weggerissen hat. Habt
Ihr gewusst, dass von 1309 bis 1379 die Päpste in Avignon residiert
haben? Wir nicht. Umso größer die Überraschung über
den riesigen Papstpalast, der als der größte gotische Palast
der Welt gilt. Es ist ein gewaltiger Bau, und mit seinen zehn bis zu 50 Meter hohenTürmen
ähnelt er mehr einer Befestigungsanlage als einem Palast. Avignon
hat 88.000 Einwohner, eine Universität und ist berühmt als Theaterstadt.
Es gibt 12 ständige Theater und viele freie Gruppen. In den letzen
3 Wochen im Juli findet hier das größte Theaterfestival der
Welt statt, mit etwa 700 Vorstellungen pro Tag in den Theatern, im Papstpalast
und auf den Plätzen und Straßen.
In den nächsten Tagen singen und tanzen wir zwar nicht auf der Brücke,
sind aber viele Stunden unterwegs, um die Stadt zu entdecken. Der Mistral
schläft ein, die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel, die Temperatur
erreicht tagsüber 16 bis 20°C. Seit einer Woche genießen
wir die sonnigen Novembertage, Kater Felix ist wieder gesund und beschwert
sich heftig über diesen Platz hier am Betonkai. Langsam bekommen
wir Lust, die Reise fortzusetzen.
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