Bericht 6
"Wer ist der Schönste im ganzen Land?"
20. August bis 05. Sptember 2006
„Endlich raus aus der Großstadt“,
mauzt Kater Felix, als wir Paris verlassen haben. Eine Woche nur mit der
Leine an Deck, keine Mäusejagd – das ist kein Katzenleben.
Auf der Seine geht’s ihm gleich besser, schon am ersten Anleger
kommt er mit fetter Beute an Bord.
Auch wir genießen die Fahrt, es soll sich nach einem unserer
schlauen Bücher um eine der schönsten Flusslandschaften von
Frankreich handeln. Die Ufer sind bewaldet, der Fluss windet sich
in vielen Schleifen gemächlich durchs Land. Neben der Seine tauchen
immer wieder große gepflegte Grundstücke mit Häusern auf,
die auf Reichtum der Bewohner schließen lassen.
Am nächsten Tag erreichen wir mit Moret-sur-Loing, einen Ort, dessen
Charme uns sofort gefangen nimmt: Am Ortseingang eine Wassermühle,
ein Gebäude wie ein winziges Schlösschen, dann ein Stadttor
und dahinter kleine Straßen, ein bildhübscher mittelalterlicher
Ortskern. Natürlich gehört auch eine gotische Kirche dazu. Zum
Anlegen biegen wir von der Seine ab in das Flüsschen „Le Loing“
mit seinem geschützten kleinen Hafen. Hier liegt „Moses“
gut und sicher, während wir mit dem Fahrrad die Gegend erkunden.
Bis zum Schloss „Fontainebleau“ ( 2 Sterne im Baedecker) sind
es nur 10 km, also machen wir uns am nächsten Tag auf den Weg. Schon
von der Straße hat man einen herrlichen Blick auf die Schlossanlage,
und es gefällt uns vielleicht auch deshalb auf Anhieb besser als
Versailles, weil hier keine
Menschenmassen Schlange stehen, man alles in Ruhe ohne Gedrängel
anschauen kann. Am schönsten sind die Gartenanlagen, die das Schloss
umgeben. Alle gehen zwar ineinander über, aber trotzdem hat jede
ihren eigenen Charakter. Da gibt es den Garten mit üppigen Blumenrabatten, dann den Garten der Diana, wo
die Göttin auf einem Springbrunnen thront, zu ihren Füßen
Hunde, die mit einem Wasserstrahl in den Brunnen
„urinieren“, den Karpfenteich mit seinem Pavillon in der Mitte
und den dicken Fischen, die den Besucher anscheinend anschauen und um
Futter betteln. (Sie mochten übrigens die Rosinen aus unserem Studentenfutter.)
Wir genießen die Schönheit und Stille dieser Gärten,
ehe wir zum Schiff zurück radeln.
Am Tag darauf haben wir das schwierige Problem zu lösen, wie die
Route weitergehen soll. (Wir hören Euch in Gedanken
spotten: „Deren Sorgen müsste man haben!“) Es gibt drei
touristisch interessante Kanäle in den Süden. Nach den spärlichen
Informationen über die Landschaft neben den Kanälen, die man
aus unseren Büchern bekommt, ist eine Entscheidung schwierig. Auf
der Suche nach hilfreichen Tipps kommen wir mit dem deutschen Kapitän
der „Liberté“ ins Gespräch. Sein Schiff von der
Größe eines kleinen Ausflugsdampfers kann mit maximal 12 (kräftig
zahlenden) Gästen an Bord über die Gewässer schippern.
Wir sitzen mit ihm und seiner Frau zusammen, beugen uns über Karten und
bekommen den Rat, alle drei Kanäle zu fahren. Wir
wägen die Argumente gegeneinander ab: Fahren wir alle drei, kommen
wir erst gegen Ende Oktober/Anfang November auf die Rhône. Zu der Zeit
ist die Wahrscheinlichkeit besonders groß, den kalten Mistral zu
erleben, der oft mit 100
km/h flußabwärts bläst. Außerdem fahren wir 250
km mehr und müssen statt 194 Schleusen (auf dem ursprünglich
geplanten Kanal de Bourgogne) insgesamt etwa 450 Schleusen passieren.
Aber wir haben ausreichend Zeit, jeder Kanal bietet ganz unterschiedliche
Reize, und wir haben die einmalige Chance, uns selbst ein Bild machen
zu können: „Wer ist der Schönste im ganzen Land?“
Wir wollen Alles! – Also geht es am nächsten Tag bei blauem
Himmel und Sonnenschein in den Canal de Loing. Die Schleusen werden fast ausschließlich
von Hand betrieben, und das bedeutet bei einem Schleusenvorgang aufwärts:
Unteres Schleusentor rechts aufkurbeln, Schütz zukurbeln, um die
Schleuse herum laufen, linkes Schleusentor aufkurbeln, Schütz schließen,
mit dem Schiff einfahren. Hinter uns linkes Schleusentor zukurbeln, herumlaufen,
rechtes Schleusentor schließen. Nach vorne laufen, die oberen Schütze
auf beiden Seiten öffnen – Wasser läuft ein. Dann vorne
oberes rechtes Schleusentor öffnen, herumlaufen, oben links öffnen
– wir können ausfahren. Halt, es fehlt noch was, Schütze
oben wieder schließen. - Alles klar? - Ich halte Moses fest an der
Leine in der Schleusenkammer, während Per aussteigt und dem Schleusenwärter
bzw. der –wärterin hilft, damit es ein bisschen schneller geht.
Dadurch brauchen wir pro Schleusengang nur 10 bis 15 Minuten. Die meisten
Schleusenhäuschen bieten einen erfreulichen Anblick. Meist sind Blumenkästen
an den Fenstern und Blumenbeete vor den Häusern, oft sogar noch Blumenkästen
an den Schleusentoren und -brücken. An einigen Schleusen wird
so manches aus dem eigenen Garten verkauft, aber auch Honig oder der Wein
der Region.
Der Canal de Loing hat an den Seiten keine hohen Böschungen, sondern liegt auf einer Ebene mit der Umgebung. Immer geht
ein Treidelweg an einer Seite entlang, mal ist das Ufer von Büschen
und Bäumen gesäumt, dann wieder geht es an Wiesen und Feldern
vorbei. Läuft eine Straße neben dem Kanal entlang, müssen
wir aufpassen, die Verkehrsschilder nicht auf uns zu beziehen. Plötzlich
hupt es hinter uns, als wir uns verschreckt umdrehen, will uns nur ein
Autofahrer freundlich zuwinken. Die kleinen Orte, an denen wir vorbeikommen,
bemühen sich mit guten Anlegern, die wenigen Schiffe zum Bleiben
zu bewegen. Tagsüber liegt man kostenlos, wenn Strom- und Wasseranschluss
vorhanden sind, wird pro Nacht meist eine geringe Gebühr fällig
(8 bis 10 €, incl. Strom und Wasser).
Wenig später liegt der Kanal höher als die Umgebung.. Wir schauen den Leuten von oben
in die Gärten und haben ein paar Kilometer weiter unter uns die Mäander
des Loing. Für die Nacht wählen wir einen Platz an der Kanalböschung und genießen beim Abendessen an Deck die Aussicht auf
den Fluss. Dazu Vollmond rechts rauf, Sonne links runter - am Morgen
dasselbe in umgekehrter Reihenfolge und Nebelschwaden über dem
Wasser.
Eine Radtour geht nach Chateau-Landon. Am
schönsten ist der Ort von außen. Von dem fast verwunschenen
Park am Fluss geht immer wieder unser Blick den Fels hoch, an dem das Städtchen wie ein Schwalbennest klebt. Kloster und Kirche machen die Silhouette
vollkommen.
Tags darauf verlassen wir das Tal des Loing, der Kanal heißt jetzt
„Canal de Briare“ und unsere nächste Station ist Montargis,
aber vorher müssen wir noch durch einige Automatik-Schleusen mit
einem besonders hohen Hub. Die meisten Schleusen in Frankreich haben zu
wenige Möglichkeiten zum Festmachen. 3 Poller auf der Schleusenkante,
keine Stangen in der Schleusenwand und oft nicht einmal eine Leiter machen
das aufwärts Schleusen schwierig. An der mit 4,80 m höchsten
Schleuse hilft der Schleusenwärter. Ein Haken schwebt herab und mit unserem Festmacher wieder aufwärts.
Montargis ist ein hübsches Städtchen
mit schmalen Gassen und üppigem Blumenschmuck. Selbst auf kleinen Seitenarmen des Kanals schwimmen Blumeninseln. Überall werden Pralinen angeboten, schließlich soll
in der Zeit von Ludwig XIII. hier der Küchenchef des Duc de
Plessis-Praslin die Praslines (Pralinen) erfunden haben.
Die Kanalfahrt wird immer schöner: Neben uns ein Teich voller Seerosen,
nach links ein tiefer Blick ins Tal. Von den vielen Schleusen, die wir
fahren, bleibt eine besonders in Erinnerung. In der "Ecluse Sablonniere"
bin ich gerade über den Festmacher gebeugt, als hinter uns laute
Musik aus einer Drehorgel ertönt. Als nächstes Stück wird
die „Berliner Luft“ gespielt. Wir sind wir sprachlos. Ein
älterer Herr kommt aus dem Schleusenhaus und ruft uns zu, die Drehorgel
stamme aus Berlin und er hat die Walze ausgewählt, weil er am Schiff
unseren Herkunftsort gesehen hat.
So macht Schleusenfahren Spaß. Was allerdings keinen Spaß
macht, ist das Wetter. Nahezu jeden Tag gibt es irgendwann mindestens
einen Regenschauer und die Temperatur geht kaum über 20°C
hinaus.
Der
nächste Ort „Rogny“ ist nicht überwältigend.
Schön ist allerdings die alte siebenfache Stufenschleuse, die von
1642 bis 1887 in Betrieb war. Heute ist sie ein Besuchermagnet. Inzwischen überwinden sechs neue Schleusen die Steigung. Nachdem wir sie passiert haben, liegen wir
oben an der Kanalböschung mit einem weiten Blick ins Tal.
Noch ein paar Schleusen mit über 5 m Hub, dann sind wir auf der Scheitelhaltung. Hier liegen rechts und links die Seen zur
Speisung des Kanals. Schließlich geht es ab Schleuse "Gazonne" wieder
abwärts. Bei den nächsten Selbstbedienungs-Schleusen sprudeln aus den Wänden nach dem Ablassen des Wassers teils kräftige
Fontänen, und ich muss beiseite springen, um nicht geduscht zu werden.
Ein Bullauge war jedoch nicht ganz zu, anschließend müssen
wir innen aufwischen.
Wir nehmen von dem Canal de Briare den Abstiegskanal zur Loire, der aber
im Sportboothafen von Briare endet. Bei der letzten Schleuse zum Sportboothafen
steht eine Gruppe von Steinskulpturen, auf der anderen Seite sind Blumenrabatten.
An der Straßenbrücke hängen Kübel, in denen Blumen
in allen Farben üppig gedeihen und weit herunterhängen. Der
Hafen selbst ist überall mit Blumenarrangements geschmückt,
wir liegen direkt neben einem Rosenbeet. Die ganze Szenerie ist so schön,
dass eine Gruppe von Malern dabei ist, diesen Anblick in Bildern festzuhalten. Wir bleiben in diesem großartigen Hafenbecken mitten in der Stadt
und machen gleich einen Spaziergang. Die Hauptstraße führt
zur Kirche, die innen und außen mit Mosaikenbildern geschmückt
ist. Briare ist berühmt für seine glänzenden Mosaiksteine,
die sog. Briare-Emaille. Wir wollen natürlich die Hauptattraktion
des Städtchens sehen, die längste Kanalbrücke der Welt,
660 Meter lang und 11,50 breit, 1890 vom Unternehmen Gustav Eiffels gebaut.
Mit ihr wird der Loire Seitenkanal über die Loire geführt. Früher
mussten die Schiffe vom Kanal in die Loire und auf der anderen Seite
wieder in den Kanal hinein. Das war mit Schiffen von 250 bis 300 Tonnen
und ausschließlich Muskelkraft ein großes Problem, und jedes
Jahr gingen speziell im Winter Schiffe in der starken Strömung verloren
und Menschen starben Der Blick von der Brücke auf die Loire zeigt
den noch immer „ungebändigten“ Fluss mit Inseln, Sandbänken
und breiten Wiesen als Überflutungsgebiete. Schade, dass er nicht
schiffbar ist.
Am Tag darauf, es ist der 30. August, ist es endlich sonnig und warm.
Der nächste Bäcker ist nicht weit entfernt, das Frühstück
beginnt an Deck mit frischen Croissants. Wir radeln über die berühmte Kanalbrücke, schauen von oben auf die Loire,
dann geht's runter an die Loire, über Wiesen, auf denen Schafe und Ziegen
grasen, wieder zur anderen Seite auf schmalen Wegen an der Loire entlang
und immer wieder das Bedauern
darüber, dass wir hier nicht mit Moses entlang können.
Mit dem Schiff überqueren wir die grandiose Kanalbrücke einen Tag später. Fährt man ein, passiert
man als erstes zwei mit Figuren und Ankern geschmückte Pylonen. Die
Fahrrinne ist 662 Meter lang und aus Eisen. Gehalten wird sie von gewaltigen
Brückenpfeilern, deren Außenmauern aus Stein bestehen. Neben
dem Becken sind etwa 2,50 m breite Treidelpfade, gusseiserne Bogenlampen
sorgen nachts für Beleuchtung. Wir sind so beeindruckt von der Überfahrt,
dass wir kurz hinter der Brücke am Kanalufer übernachten, am
Tag darauf noch einmal drüberfahren und dann erst die Fahrt fortsetzen.
Unser nächster Halt ist im Hafen von Saint Thibault. Von hier wollen
wir mit den Fahrrädern in das hoch gelegene Örtchen Sancerre
mit seinem berühmten Weißwein. Steil steigt die Straße
an, führt über ein Aquädukt, und bietet herrliche Ausblicke auf die Loire und die umliegenden Weinberge. Oben in Sancerre,
sind wir sehr begeistert von dem Städtchen mit seinen schmalen Gassen
und dem Zentrum mit Restaurants und Länden. Überall wird der
Sancerre angeboten, Winzer laden zu Kostproben ein, Touristen schlendern
herum und sitzen in den zahlreichen Restaurants. Ein Aussichtsturm kann
bestiegen werden und der Blick über Weinberge, Wald und kleine Orte
lohnt die Mühe des Aufstiegs. Die Belohnung für die steile Anfahrt
kommt natürlich, als wir bei herrlichem Sonnenschein fast ohne in
die Pedale zu treten wieder bis zu unserem Schiff kommen.
Am 03. September gibt es schon wieder etwas Bedeutendes zu sehen. Mit
dem Fahrrad geht es die 2,5 km nach Charité-sur-Loire. Über
eine Steinbrücke aus dem 16. Jahrhundert kommen wir zur Basilika Notre
Dame, deren jetzige Gebäude aus dem Jahr 1107 stammen und die damals
nach Cluny die ausgedehnteste Kirchenanlage Frankreichs war. Die Anlage
ist beeindruckend, die Gassen um die Kirche nett, und besonders schön
ist der Blick von der noch erhaltenen Stadtmauer im Norden und ihrem Turm
auf die Kirche und die Loire mit der alten Brücke.
Es ist Sonntag, vor dem Schleusenhaus der nächsten Schleuse sitzen
ein Dutzend Leute beim Kaffee im Garten, nicken uns zu, winken: „Au
revoir, bon voyage!“ Das ist kein Einzelfall, wir begegnen überall
Menschen, die uns das Gefühl geben, willkommen zu sein.
Per hat mich schon vorgewarnt, als nächstes kommen zwei direkt hintereinander
liegende Schleusen, die insgesamt eine Höhe von 9 m überwinden.
Als wir die erste anfahren, rutscht mir das Herz in die Hose: Sonntagsausflügler
stehen überall herum und beobachten die Schleusenvorgänge. Hoffentlich
mache ich jetzt nichts falsch. Es beginnt schon damit, dass der Schleusenwärter
an Steuerbord eine Leine mit einem Haken herunter lässt, die lange
Leine liegt aber noch an Backbord. Also schnellstens hinüber und
dann muss die enge Schlinge über die Klampe. Oft
habe ich damit große Probleme, aber unter den Augen der Neugierigen
klappt es auf Anhieb. Der Schleusenwärter lässt das Leinenende
wieder herunter, ich bekomme es sofort zu fassen und atme
auf. Aber die Leine ist nicht einmal lang genug, um sie wieder über
der Klampe festzumachen. Ich hänge mich mit aller Kraft dran und
Per lässt die Maschine laufen, um das Schiff auf Abstand zu halten.
Problemlos kommen wir oben an und fahren sofort in die nächste Schleusenkammer.
Die ist nicht ganz so hoch, ich kann immerhin das Seil um die Klampe legen.
Aber auch hier lässt Per die Maschine laufen und fährt immer
wieder vorwärts in die Leine, denn nur mit der Mittelleine und dem
steilen Winkel wäre das Schiff nicht zu halten. Als wir oben sind,
werden wir mit einer wunderbaren Fahrt auf der zweitlängsten
Kanalbrücke über die Allier belohnt. Per will filmen und fotografieren, also fahre ich und schwitze Blut
und Wasser vor Angst, an den Seiten der nur etwa 5 m breiten Kanalrinne
anzustoßen. Aber alles geht gut - direkt hinter der Brücke
sind Festmacher, es ist 18.30 h, also Zeit zum Anlegen.
Die letzte Station auf dem Kanal machen wir in Nevers, das durch einen
Seitenkanal zu erreichen ist. Wieder radeln wir über eine Brücke
mit Blick auf die Stadt, bekommen im Touristenbüro von
einer sehr netten Praktikantin aus Berlin Informationsmaterial über die Stadt und finden mit ihrer Hilfe auch
ein Geschäft mit deutschen Zeitschriften, wo wir uns mal wieder mit
„Spiegel“ und „Zeit“ eindecken können. Die
Stadt gibt sich Mühe, die Touristen bei der Besichtigung zu
leiten, ein blauer Streifen auf der Straße weist den Rundgang. In
Erinnerung bleiben werden uns das Palais Ducal, ein schöner Renaissancebau,
die tausend Jahre alte frühromanische Kirche St. Etienne und die
Kathedrale.
Am 06. September verlassen wir den Canal latéral de la Loire und
fahren den Canal du Nivernais wieder nach Norden – aber davon im
nächsten Bericht.
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