Endspurt
21. Juli bis 07 September
Ari stoppt die „Tadorna“ mitten auf der Rhône
und ruft uns zu: „Laßt uns die Schiffe zusammen koppeln, wir
haben
ja sonst gar nichts voneinander!“ Gut gefendert und mit Leinen festgezurrt
werden „Tadorna“ und „Moses“ zum Pärchen.
Beide Maschinen laufen mit der gleichen Drehzahl, wir stehen bei den Beiden
an Deck, haben viel Zeit zum Plaudern, und es muss immer nur einer Ruder
gehen. Auch Cock und Ari haben den Winter in Südfrankreich verbracht
und sind auf der Rückreise Richtung Niederlande. Ari war Berufsschiffer
und manövriert zu unserer Bewunderung das Päckchen gelassen
und sicher sogar rückwärts aus einer engen Steganlage.
Seine Disziplin tut uns gut. Pünktlich um 8 h wird morgens abgelegt,
und so schaffen wir in drei gemeinsamen Fahrtagen 195 km die Rhône
aufwärts bis Tournon.
Dann ist erst einmal Pause für eine Touristenattraktion: Mit einer
kleinen Dampfeisenbahn geht’s in die Berge. Etwa hundert Jahre alt
sind Bahn und Waggons. Wir sitzen Holzklasse, die wenigen Plätze
in einem plüschig-roten Salonwagen waren lange vorher ausverkauft.
Mit mächtigem Pfeifen setzt sich das Bähnle laut zischend in
Bewegung, bald schlängelt es sich rüttelnd und schüttelnd
durch das wildromantische Tal des Flüsschens Doux,
das wir meist tief unter uns sehen. Wilde Berge, Brücken, ein riesiger
Aquädukt – alles stürzt sich mit den Kameras an die geöffneten
Fenster. Die Scheiben lassen sich mit einem einfachen Gurt vollständig
versenken, man kann sich weit hinauslehnen und sogar auf die offenen Plätze
zwischen den Waggons gehen. In Deutschland undenkbar. Im Ankunftsort nutzen
wir den langen Aufenthalt für ein Picknick. Beinahe jeder Ort in
Frankreich hat einen Picknickbereich, der besonders über Mittag so
intensiv genutzt wird, dass wir kaum noch einen Platz finden. Auf der
Rückfahrt beginnt es zu regnen – gut, dass alle Fotos schon
gemacht sind.
Zurück kommen wir gerade noch rechtzeitig, um mit Kater Felix im
Taxi in die Tierklinik zu fahren, in der wir mit ihm ja schon auf dem
Hinweg waren. Seit Wochen tränt ein Auge, der Tierarzt
in St. Gilles fand nichts Absonderliches, aber hier stellt die Ärztin
fest, dass sich im Auge etwas ablöst. Er bekommt nicht nur Tropfen
und Gel, sondern auch einen Plastikkragen für die nächsten Tage,
damit er sich nicht mit den Pfoten über die Augen wischt. Jetzt haben
wir einen Kragenbär. Trotzdem erwischt er am nächsten Tag seinen
Nachtisch - eine Maus.
In Lyon haben wir nach 280 Kilometern die Rhône geschafft, und rund
20 km weiter auf der Saône trennen wir uns. Cock und Ari wollen
mit Kindern und Enkeln zum Canal du Nivernais und dann noch nach Paris,
wir folgen der Saône bis zum Abzweig des Flüsschens Seille,
das ganz besonders hübsch und romantisch sein soll. Und wirklich,
auf der Seille ist es fast so schön wie auf der Havel. Es ist sonnig
und warm, wir können schwimmen und finden abends romantische Fleckchen
zum Anlegen, mit denen auch Felix zufrieden ist. Nach 43 Kilometern ist
Ende der schiffbaren Strecke, dann ist man in Louhans. Montags ist hier
Viehmarkt, und heute ist Montag, der 30. Juli.
Louhans ist Zentrum für das berühmte Bresse-Geflügel. Als
wir aber sehen, wie die armen Viecher gegriffen und in Pappkartons mit
ein paar Schlitzen gestopft werden, vergeht uns der Appetit. Ein lebendes
Huhn kostet hier übrigens nur 4 €. Es gibt auch Enten, Kaninchen,
Hunde, Katzen usw. Die Art ihrer Präsentation entspricht allerdings
absolut nicht unseren Vorstellungen von Tierschutz. Der Markt ist riesig,
erstreckt sich über viele Straßen der Stadt und es gibt fast
alles, was Mensch so braucht. Das Städtchen mit seiner von Arkaden
gesäumten Hauptstraße ist schön, aber ganz besonders schön
ist das Kirchendach mit seinen bunten Ziegeln.
Die Schleusen auf der Seille sind sehr klein. Auf dem Rückweg passen
wir gerade noch hinter einem Charterboot hinein. Als das Wasser abgelassen
wird, gibt es einen lauten Krach. Per schreit: „Stopp“. Aber
zu spät, das Ruderblatt von Moses hat auf dem „Schleusendrempel“,
einer Betonschwelle vor dem Schleusentor, aufgesessen, dabei ist ein Stück
Holz abgesplittert, das gesamte Ruderblatt ist aus den Lagern gesprungen
und hängt nur noch am
Hydraulikzylinder. Wir sind manövrierunfähig. Ein junges Paar
hilft uns mit den Leinen das Schiff aus der Schleuse an die Uferböschung
zu ziehen. Dort liegen wir nun und Per überlegt gelassen wie immer,
was zu tun sei. Das Ruderblatt muss angehoben werden um wieder in die
Lager eingesetzt zu werden. Ein Versuch mit einem Flaschenzug ist vergeblich.
So entscheidet Per, das Ruderblatt am Mast zu befestigen um dann mit der
Hydraulikwinde den Mast und damit das Ruderblatt anzuheben. Ein Schweizer
Ehepaar samt Besucher bietet seine Hilfe an. Per klettert außenbords
– stehen kann er leider nicht im Wasser – der eine Schweizer
hilft von oben, die Frau sitzt auf unserer Bohle und versucht mit dem
Peekhaken das Ruderblatt etwas zu schieben, ihr Mann hat zwei gebrochene
Rippen und kann daher nur von Land aus gucken und kommentieren, ich habe
die Steuerung für die Hydraulik in der Hand und hebe bzw. senke den
Mast auf Kommando. So gelingt es schließlich Per nach längerem
Bemühen, das Ruderblatt wieder ins Lager zu bekommen. Sehr erleichtert
laden wir die Schweizer zu einem Glas Sekt auf Moses ein, und dann fahren
wir gegen 18.30 h noch ein kleines Stückchen bis zu einem Nachtplatz
weiter, an dem Unglücksplatz will Per nicht bleiben.
Am nächsten Morgen setzt Per sich rücklings auf das Ruderblatt
und zieht zwei neue Bolzen ein, die er zum Glück in seinem schwimmenden
Baumarkt vorrätig hat. Die beiden alten hatten sich bei dem gestrigen
Geschehen verbogen und die Muttern waren abgerissen.
Am selben Abend noch sind wir wieder auf der Saône, die wir schnell
weiter aufwärts kommen, denn sie hat nur etwa 2 km/h Strömung,
so sind wir am 01. August wieder an der Mündung des Doubs
in die Saône. Im
Mündungsort „Verdun sur le Doubs“ sind alle Anlegeplätze
besetzt, aber im Doubs finden wir nach einiger Suche an einem steilen
Uferstück ein Plätzchen, an dem wir allerdings nur mühsam
festmachen können. Beim Ablegen am nächsten Morgen fehlt Felix.
Es ist ihm gelungen, die fast 3 m hohe steile lehmig-glitschige Uferböschung
hoch zu klettern, nun kommt er nicht wieder runter. Per legt die Landgang-Bohle
an, kommt aber auch damit nicht bis ganz nach oben, mühsam kämpft
er sich am rutschigen Lehm hoch. Dort sitzt unser Kater und schaut interessiert,
was wir da Komisches veranstalten. Es hilft nur Abseilen. Felix kommt
in eine Einkaufstasche (was der sich so alles klaglos gefallen lässt)
und am Seil wird er wie mit einer Hosenboje aufs Schiff herab gelassen.
Per hat es viel schwerer wieder die Bohle zu erreichen, nur mit viel Schwanken
und Wackeln – begleitet von meinen ängstlichen Blicken –
erreicht er das Schiff.
In St. Jean de Losne endet die Fahrt auf bekanntem Gebiet. Hier müssen
wir mal wieder tanken. 400 Liter zu 1,19 € pro Liter, das tut richtig
weh.
Danach sind wir auf unbekanntem Wasserweg, der Petit Saône. Keine
Straße und nur wenige Häuser sind zu sehen, ihre Ufer sind überwiegend
mit Büschen und Bäumen gesäumt. Im Städtchen Gray,
unserer nächsten Station, ist heute Abend Feuerwerk, vorher ziehen
Stelzentänzer und eine Sambagruppe am Ufer entlang. Im Touristenbüro
hatten wir nach dem Grund für das Fest gefragt. Antwort: „Es
ist Sommer“.
Die Fahrt geht weiter durch eine einsame wunderschöne Flusslandschaft
im Franche Compté/Jura, einer extrem dünn besiedelten Gegend.
Oft haben wir weder Handy- noch Internet-Verbindung.
Die Schleusen funktionieren überwiegend mit Selbstbedienung. Über
dem Fluss hängt an Drähten ein Gummischlauch. Ranfahren, drehen
– Schleusenvorgang wird eingeleitet.
Nach 24 km mal wieder ein Tunnel, aber es ist ein Luxustunnel mit Beleuchtung
und Notrufknöpfen in den Wänden.
Abends ein schöner Anleger an einem Wiesenstück neben dem Treidelweg.
Felix wuselt an Land herum, Radfahrer kommen auf dem Treidelweg näher.
Felix kriegt Panik, rennt auf die Landgangbohle, rutscht ab – platsch.
Wir sehen ihn nicht, aber auf unser Rufen kommt ein klägliches Mauzen
aus der Uferböschung. Ehe wir ihm helfen können, arbeitet er
sich durch Gras und Gestrüpp nach oben. Klatschnass wie eine alte
Flaschenbürste schleicht er an Bord.
Die nächste Wasserstraße ist der Canal de
l’Est (neuer Name: Canal des Voges). Wieder rechts und links Natur
pur. Die VNF, die zuständige französische Behörde für
Wasserwege, hat netterweise ein paar Wasserrastplätze angelegt. Für
die Nacht vom 7./8. August finden wir einen mit Picknicktisch, Bänken
und einem Feuerplatz. Nur Wald und Wasser um uns herum, wir sind ganz
alleine, genießen den Abend mit einem großen Lagerfeuer und
einem kleinen Glas Wein (oder war es umgekehrt?).
Das Wetter ist an allen Tagen sehr wechselhaft. Mal genießen wir
die warme Sonne, aber viel zu oft ist der Himmel grau und schickt uns
kräftige Regenschauer.
Über viele, viele Schleusen geht es den schmalen Canal des Voges
weiter aufwärts und das kostet viel Zeit. Am 09. August sind wir
den ganzen Tag unterwegs, machen aber nur ein Etmal von 17 Kilometern,
weil wir 24 Schleusen bewältigen müssen.
Büsche und Bäume säumen das Ufer, der Blick geht oft hoch
zu den Erhebungen der Vogesen. Als wir in 360 Meter Höhe auf der
zweithöchsten Scheitelhaltung Frankreichs sind, geht der Kanal am
Hang entlang und wir schauen weit hinunter. Dann geht es über
viele, viele Schleusen wieder abwärts. Das ist bequemer, man kann
das Seil festlegen, den Motor ausmachen und in Ruhe abwarten, bis man
unten ist. Allerdings verklemmt sich einmal das Seil, das Schiff hängt
sehr schief. „Per, hilf mir!“ Er greift zur Machete und schlägt
ein Stück von der Leine ab, das Schiff plumpst herunter.
Am
12. August erreichen wir Nancy, die Hauptstadt von Lothringen. Wir hatten
noch nie etwas von Nancy gehört, und als uns ein Franzose vorher
sagt, wir würden dort den schönsten Platz Europas sehen, lächeln
wir milde über soviel Lokalpatriotismus. Aber dann stehen wir auf
dem „Place Stanislas“, und es verschlägt uns den Atem.
Ein komplettes Barock-Ensemble, erbaut zwischen 1751-1760 umgibt eine
Fläche von 124 x 106 m. In einer Ecke steht ein Neptun- an der anderen
ein Amphitrite-Brunnen. Vergoldete schmiedeeiserne Gitter umgeben die
Brunnen und die Straßeneinmündungen. Straßenlaternen
sind mit vergoldeten Ranken verziert und tragen oben eine Krone. Da der
Platz 2005 renoviert wurde, erstrahlt alles noch in voller Pracht. Das
größte Palais ist heute Rathaus, und bei einer Führung
können wir die riesige geschwungene Treppe und zwei Säle mit
großartigen Deckenmalereien sehen. Abends gibt es eine Ton- und
Lichtschau (son et lumière) auf der Fassade des Palais –
ein Erlebnis. Drei weitere Plätze gliedern sich an, und
das gesamte Ensemble wurde in das Welterbe der UNESCO aufgenommen. Nancy
gilt aber auch als Wiege des Jugendstils. Wunderbare Beispiele sind reichlich
zu finden. Die Glasmanufaktur Daum ist für ihre Jugendstilarbeiten
berühmt, und ihre schönsten Stücke sehe ich im Musée
des Beaux Arts.
Am 14. August wollen wir vormittags noch mit einem MP-3-Player vom Touristenbüro
einen Stadtrundgang machen und dann ablegen. Aber es wurde mal wieder
Zeit für eine Panne. Ein Schlauch im „Hauswirtschaftsraum“
ist abgegangen, die Frischwasserpumpe springt an, und als wir das Unglück
bemerken, ist die gesamte Bilge schon gut mit Wasser gefüllt. Der
Vormittag ist gelaufen. Mal wieder alles raus aus der Bilge, mit dem Nassstaubsauger
aussaugen, dann den Schlauch umdrehen und alles trocken blasen. Anschließend
wieder einräumen.
Am Nachmittag dann der Stadtrundgang von rund zwei Stunden. Über
Kopfhörer interessante Informationen zu Bauwerken und Stadtgeschichte.
Auf dem Place Stanislas wird heute eine Bühne aufgebaut für
ein abendliches Konzert mit Karaoke Musik – nicht unbedingt unser
Geschmack. Auch Vorbereitungen für ein Feuerwerk um 23 h sind schon
getroffen, aber wir sind kaputt und müde und vom Feuerwerk hören
wir nur noch im Einsschlafen ein paar Knaller.
Es geht weiter auf dem Rhein-Marne-Kanal, neben dem es erst mal hässlich
und laut ist. In Dombasle-sur-Meurthe passieren wir den größten
Kalkbrennofen der Welt – auch nicht gerade eine Schönheit.
Doch bald kommen wir durch Wiesen und Felder, und es fällt uns einmal
mehr auf, wie stark Frankreich landwirtschaftlich genutzt wird. Viele
der Wiesen, die wir heute passieren, sind mit Wasser bedeckt, es hat in
den letzten Tagen teils heftig geregnet. Zwei Tage sind wir jetzt unterwegs
ohne eine Einkaufsmöglichkeit zu finden. In den wenigen kleinen Orten,
die neben dem Kanal liegen, haben die letzten Läden aufgehört
zu existieren. Wir erfahren,
dass wir uns in einer der ärmsten Regionen Frankreichs bewegen. Eigentlich
müssten wir kurze Zeit später in den Saarkanal abbiegen, aber
wir machen einen Umweg und bleiben auf dem Rhein-Marne-Kanal, weil Per
das Schiffshebewerk St.-Louis-Arzviller sehen und durchfahren möchte.
Noch zwei Tunnel von 475 und 2306 m durch die Berge der Vogesen, dann
sind wir am Schiffshebewerk. Hier geht’s in einen großen Trog
und dann 44,5 m hinunter auf einer 109 m langen geneigten Rampe. Früher
musste man dafür durch 17 Schleusen.
Gerade als wir zur Einfahrt ablegen können, ist Felix verschwunden.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als oben zu warten und Per alleine
fahren zu lassen. Kaum ist Per mit dem Schiff unten, kommt Felix unter
dem Zaun eines Grundstückes wieder zum Vorschein. Mitten im Gewusel
der vielen Besucher des Schiffshebewerkes muss ich Felix halten und am
Ausbüchsen hindern. Per legt Moses unten fest, kommt zu Fuß
wieder hoch, und mit unserem dicken Kater auf dem Arm geht’s zum
Schiff.
Das Schiffshebewerk hat uns in ein sehr schönes Vogesental hinunter
geführt. Hohe mit Wald bedeckte Berge erheben sich um uns herum,
und nach drei weiteren kleinen Schleusen taucht vor uns die Ruine der
Burg vom Ort Luxelbourg auf, unserem heutigen Ziel.
Hier treffen wir am nächsten Tag Axel und Verena, die mit Freundin
Mareike aus Freiburg kommen. Nach einem schönen gemeinsamen sonnigen
Nachmittag fahren wir mit dem Schiffshebewerk wieder hoch. Ein Stück
müssen wir auf dem Rhein-Marne-Kanal zurück, dann biegen
wir in den Saarkanal ein. Als wir in die zweite Schleuse einfahren, wundere
ich mich, dass noch soviel Fahrt im Schiff ist- vor uns
liegt ein Charterschiff. Gleich darauf des Rätsels Lösung, der Gaszug ist gerissen. Gerade noch rechtzeitig schaffen wir es, Moses mit den Leinen zu stoppen.
Hinter der Schleuse müssen wir natürlich sofort anlegen. Eigentlich
wollte Per heute einen ganz ruhigen Nachmittag haben, stattdessen hat
er eine schwierige Fummelarbeit beim Einziehen eines neuen Baudenzugs zu leisten.
Dann kommt auch noch ein Gewitter, aber ehe wir total durchnässt
sind, können wir schnell die Plane aufspannen.
Die Weiterfahrt ist dann aber die reine Freude. Es geht wieder durch reizvolle
Landschaft mit Wald, Wiesen und Feldern.
Der Kanal liegt ein bisschen höher als das umliegende Land.
Entsprechend haben wir immer wieder schöne Ausblicke.
Am 21. August machen wir fest in Saargemünd. Seit 1790 gibt es hier
eine Fayencen-Manufaktur, und das Haus des ehemaligen Direktors ist heute
Museum (2 Sterne im Baedecker) mit einer berühmten Sammlung. Besonders begeistert sind wir von den Fayencen im Wintergarten. Bei Saargemünd
verlassen wir den Kanal und kommen in die Saar, allerdings bei Dauerregen. Endlich wieder in Deutschland.
Gleich in der ersten Schleuse fühlen wir uns richtig zuhause. Der
Schleusenwärter hält Per einen Vortrag über das richtige
Verhalten in Schleusen, und bald sehen wir wieder Schilder wie: „Verboten“
und „Eltern haften für ihre Kinder“! Wir sehnen uns zurück
nach dem französischen „Laisser faire“. Natürlich
gibt es auch in Frankreich Verbote, aber sie haben doch mehr den Charakter
von Empfehlungen. Kein französischer Autofahrer hat zornig reagiert,
wenn wir z.B. verkehrt in eine Einbahnstraße geradelt sind. Einer
musste meinetwegen eine Notbremsung machen. Ich habe mich entschuldigt.
„Aber das macht doch nichts“, sagte er, begleitet von einem
strahlenden Lächeln. Etwas mehr Gelassenheit könnten wir in
Deutschland gut gebrauchen, zum Beispiel beim Einkaufen im Supermarkt.
Die Kassiererin in Frankreich schiebt die Waren ähnlich schnell und gekonnt über
den Scanner wie bei uns, aber dann: Jedes Stück wird vom Kunden bedächtig
vom Band genommen, sorgfältig in Taschen, Tüten, Beuteln gepackt.
Wenn das letzte Stück verstaut ist, kommt noch ein kleines Schwätzchen
mit der Kassiererin, dann wird unter all den Taschen und Tüten die
Handtasche hervor gekramt, nach Scheckheft und Bonuskarte gewühlt,
schnell noch die Bonuskarte eingescannt: „Wie war noch die Summe?“,
Scheck ausfüllen, die Kassiererin schiebt ihn in einen Schlitz an
der Kasse, es rattert, der Scheck schaut oben heraus, wird wieder eingezogen,
schaut unten heraus, wird eingezogen, drei- bis viermal geht das so, dann
spuckt der Schlitz ihn endgültig aus. Noch eine Unterschrift und
dann: Der Nächste bitte! Keiner der Wartenden zeigt in der Zwischenzeit Spuren von Ärger oder Ungeduld.
Es war in Frankreich alles locker und ein bisschen fröhlicher. Manchmal würden
wir am liebsten sofort wieder umkehren. Aber dann wollen wir doch heim
nach Berlin.
Anfangs
sind neben der Saar ständig entweder die Autobahn oder Bundesstraßen.
In Saarbrücken sind die Anleger für Sportboote direkt gegenüber
der Autobahn. Bei strömendem Regen und heftigem Lärm verkriechen
wir uns frustriert unter Deck, machen alle Luken zu und verzichten auf
eine Stadtbesichtigung. Aber auf der Saar gibt es auch schöne Strecken.
Hinter der landschaftlich wunderbaren Saarschleife bei Mittlach nehmen
wir den ASVer Paddy Heptner an Bord und fahren mit ihm bis nach Saarburg.
Mit Christa und Paddy verbringen wir schöne Stunden in ihrem Haus,
und am nächsten Tag geht's mit Christa nach Luxemburg. Dort soll
es in Wasserbillig Diesel billig geben. Aber wir werden enttäuscht,
die Tankmöglichkeit gibt es nicht mehr. Also zurück nach Saarburg.
Das ist ein hübsches Städtchen, außer uns haben das schon
lange die Holländer entdeckt, sie stellen hier das größte
Kontingent an Touristen.
Es wird von Tag zu Tag kühler, der Herbst macht sich bemerkbar. Nach
dem Abschied von Christa und Paddy schippern wir weiter auf der Saar bis
zu ihrer Einmündung bei Konz in die Mosel. Um den billigen Diesel
in Luxemburg zu kriegen, machen wir einen Umweg von 35 km die Mosel aufwärts bis
Schwebsange, wo wir für 92,2 € pro Liter tanken. Bei 790 Litern
ist die Ersparnis gegenüber den deutschen Preisen (1,19 € an
den Wassertankstellen) die zusätzlichen Kilometer wert.
Wieder in Deutschland, ist es leider auch vorbei mit der Möglichkeit,
einfach am Ufer festzumachen. Die nächste Liegemöglichkeit ist
in Konz, hier zahlen wir 1 € pro Meter Länge plus 1 € für
Müll und Wasser, Strom 0,50 € pro kWh. Trier ist nur 8 km entfernt und
hat überhaupt keine Anlegemöglichkeit für Sportboote. Ich
will aber unbedingt hin. Von Konz gibt es einen Fahrradweg an der Mosel
entlang. Es könnte eine schöne Radtour sein, wenn nicht direkt
über uns die gesamte Zeit der Verkehr auf einer stark befahrenen
Straße entlang donnern würde.
Die Innenstadt von Trier ist laut und voll, in fast jedem Haus ist ein
Geschäft oder ein Restaurant. Es fehlt eigentlich
nur noch ein Schild: „Leute kauft und fresst.“ Aber die Porta
Nigra ist beeindruckend, und noch besser gefällt uns der Dom. Er
wurde von 1039 bis 1078 gebaut, und sein Grundriss ist genau derselbe
wie ein römischer Palast, der einmal an dieser Stelle stand. Im Inneren
Kunstobjekte aus beinahe allen Epochen. Ein wunderschöner Platz ist
der Hauptmarkt mit dem Marktbrunnen und der Kirche St. Gangolf. Die Trierer
haben sicherlich Recht, wenn sie ihn als einen der schönsten Plätze
Deutschlands bezeichnen.
Die Weiterfahrt auf der Mosel ist anfangs überhaupt nicht reizvoll.
Die Landschaft ist langweilig, dazu kommen oft auf beiden Seiten viel
befahrene Straßen mit entsprechendem Verkehrslärm. Festmachen wollten wir eigentlich im Yachthafen Schweich. Aber gegenüber liegt
auf einer weit über den Berg herausragenden Konstruktion die Autobahn,
darunter ist eine Bundesstraße, und voraus sind eine Autobahnbrücke
und eine Bundesstraßen-Brücke: Bloß weg hier! Erst auf
der so genannten Mittelmosel wird es landschaftlich schön. Weinhänge
reichen bis hinunter an den Fluss, manchmal sind sie steil, manchmal sanft.
Nur noch eine kleine Straße führt neben der Mosel entlang,
die hier zahlreiche Schleifen macht, so dass sich uns immer wieder ein
neuer Blick bietet. Beim Ort Leiwen gibt’s einen Anleger mit Blick
auf die gegenüber liegenden Weinberge. Ein Ortsbummel führt
zu einem Winzer mit einem trockenen Riesling. Erster Probeschluck: Sehr
empfehlenswert. Wir sehen die Vorbereitungen für das morgige Straßenfest
und beschließen mitzufeiern. Es wird ein fröhliches Fest. Die
geschmückten Stände werden von den Familien betrieben, die an
der Straße wohnen, alle bauen natürlich Wein an, und auch die
angebotenen Speisen sind selbst gemacht. Ich esse einen wunderbaren Krautsalat
und frage nach dem Rezept. Antwort: „Das weiß ich gar nicht,
den macht immer unsere Oma.“
Die
Weiterfahrt auf der Mosel ist immer dann besonders schön, wenn es
keine größeren Straßen am Ufer gibt. Aber Fahrradwege
gibt es überall, und reichlich Radfahrer sind auch unterwegs. Die
Landschaft wechselt ständig, zwar sind die Hänge fast überall
mit Weinreben bedeckt, aber auf den Kuppen der Hügel ist Wald, manchmal
sind die Nordhänge auch komplett mit Wald bedeckt. Besonders
gut gefällt es uns bei der Mosel-Loreley, einem 443 m hohen Felsen
neben dem Fluss. Steil ragt er vom Ufer hoch, viel nacktes Felsgestein,
dazwischen einige Waldstücke.
Nächster Stopp ist in Bernkastel. Im Ort steppt der Bär, es
ist Weinfest. Gegenüber in Kues ist ein riesiger Rummel. Bernkastel
hat einen kleinen schönen Marktplatz, umgeben von prächtigen
Fachwerkhäusern. Hier drängen sich heute die Menschen. Ein Weinstand schenkt Riesling zu fairen Preisen aus, eine Blaskapelle macht laute Musik.
Die Leute sind gut drauf, einige wippen, andere tanzen mit. Weinstände
sind überall in der Stadt, aber alles kommerzialisiert. Hier hat
keine Oma den Salat selber gemacht. Mit einem Spaziergang zur Burgruine
entfliehen wir dem Trubel und genießen den Blick über das Moseltal.
Ein weiterer Stopp ist für uns noch wichtig: Beilstein Dort haben
wir vor etwa 25 Jahren unsere Liebe für Riesling-Weine
von der Mosel entdeckt. Damals war Beilstein noch ein verschlafenes Dörfchen,
heute ist es ein wuseliger Touristen-Treffpunkt. Also nur ein Gläschen
im selben Keller, in dem wir damals waren, und dann weiter nach Cochem.
Den schönsten Blick hat man vom gegenüber liegenden Ufer auf
das Städtchen und die Burg. Im Ort nur Restaurants, Cafés
und Touristenkitsch. Die Burg von Cochem ist keine Ruine. Zwar haben die
Franzosen sie im 17. Jh. geschleift und niedergebrannt aber Herr Ravené
hat sie im 19. Jhd. wieder aufbauen lassen. Zu dem Herrn habe ich eine
besondere Beziehung, in Berlin habe ich an der Ravené-Schule unterrichtet.
Bei einer lebendigen interessanten Führung sehen wir Räume,
die mit dem Mobiliar und Gebrauchsgegenständen aus der Zeit ihrer
Erbauung ausgestattet sind. Besonders beeindrucken uns die Weinhumpen
der Mönche und Nonnen. 5 Liter pro Tag für Mönche und 3
für Nonnen: Da kann man den ganzen Tag fromme Lieder singen. Wir
üben zwar eifrig (nicht das Singen), aber das werden wir nicht schaffen.
Letzte Station auf der Mosel ist Winningen, und am 07. September kommen
wir auf den Rhein. Der Himmel ist bleigrau, Windstärke 6 gegenan,
Schlepper, Containerschiffe, Ausflugsdampfer – Verkehr wie auf dem
Ku-Damm. Ständig
müssen wir die Seiten wechseln, weil Berufsschiffe blaue Tafeln zeigen
und damit signalisieren, dass entgegenkommende Schiffe auf der „falschen“
Seite vorbei fahren sollen. Manchmal müssen wir deshalb zwischen
zwei großen Schiffen durch, hüpfen auf den Wellen, und der
Wind bläst uns die Gischt bis ans Ruder. Aber der Rhein hat auch
einen Vorteil: Die Strömung ist so stark, dass wir statt der üblichen
10 km/h mit 15 bis 17 km/h vorwärts kommen. Wir haben heute, am 07.
September, in gut 4 Stunden 68 km zurückgelegt und liegen jetzt in
einem stillen Yachthafen zwischen Bonn und Köln.
An der Mosel haben wir übrigens nicht nur Wein probiert, sondern
auch Wein gekauft und im Schiffsbauch verstaut. Das eine oder andere Fläschchen
würden wir gerne mit Euch leeren, aber vorher müsst Ihr noch
eine letzte Rätselfrage lösen. Nachdem die Frage im letzten
Bericht viel zu leicht war - alle eingegangenen Antworten waren richtig
- haben wir es diesmal etwas schwieriger gemacht:
Warum heißt der Hauptplatz von Nancy „Place Stanislas“?
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