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Liebe Freunde,
seit dem 5. November sind wir in Avignon. Wir genießen die Sonne und die Wärme in Frankreichs Süden und denken an Euch, die Ihr graue Novembertage ertragen müsst. Vier Wochen sind seit dem letzten Bericht Nr. 8 vergangen, und wir haben schon wieder eine ganze Menge gesehen, daher hier der

Bericht 9
Unterwegs auf der Saône und der Rhône

12. Oktober bis 12. November 2006

Unsere Fahrt durch den Kanal de Bourgogne endete in St. Jean de Losne, einem kleinen Städtchen mit einem großen Hafen. Während es in den Niederlanden überall Bootswerften mit jedwedem Service und mit allem Zubehör für Sportboote gab, bekommt man in Frankreich selbst in den großen Städten nicht mal eine Inbusschraube. So sprach jeder Freizeitskipper unterwegs begeistert von dem Laden „H2O“ in St. Jean de Losne. Tatsächlich gibt es hier fast alles, was das Herz begehrt, sogar Mechaniker werden vermittelt und Werften sind auch da. Per möchte daher zwei Basteltage einlegen. Er überprüft und überholt die Technik, es wird geputzt, geräumt und die Vorräte werden aufgefüllt. Per schließt die Heizungsumwälzpumpe an (der Warmwasserboiler fungiert als Wärmetauscher), jetzt können wir das Schiff heizen, indem das Wasser, das während der Fahrt durch die Motorabwärme erhitzt wird, gleich noch durch die Heizkörper fließt. Genauso funktioniert es auch bei Landstrom. Das lohnt sich besonders, weil in Frankreich der Strom entweder kostenlos oder pauschal in der Liegegebühr enthalten ist.
Am 14. Oktober legen wir nachmittags ab und freuen uns daran, mal wieder auf einem Fluss zu fahren, der breit und langsam dahin fließt. Allerdings sehen wir auch an Brückenpfeilern und Bojen viel Treibholz – ja sogar ganze Baumstämme. Sie machen deutlich, warum die Saône noch kürzlich für den Schiffsverkehr gesperrt war. Einen teuren Nachtplatz finden wir an den Steganlagen von Seurre, einer nicht besonders reizvollen Stadt. Am nächsten Tag geht es 20 km weiter bis nach Verdun-sur-le-Doubs, wo wir in den Doubs einbiegen. Hier fahren wir gegen die Strömung an, sie hat etwa 2 km/h. Die Flussfahrt ist sehr romantisch, die Ufer sind gesäumt von Büschen und Wald - kein Haus, keine Straße. Aber bis in eine Höhe von 2 bis 3 Metern über dem heutigen Wasserspiegel sehen wir Ablagerungen von Schlamm, Ästen und anderem Schwemmgut. Auch der Doubs war noch vor 1 Woche gesperrt. Bald findet sich ein hübsches Fleckchen zum Anlegen, und nach langer Zeit bleiben wir zu unserer und zur Freude von Kater Felix mal wieder mitten in der Natur. Am nächsten Morgen ist alles eingehüllt in dicken Nebel. Erst um 10 h kämpft sich die Sonne durch, und wir fahren noch ein Stückchen den Fluss hoch. Das Tal des Doubs ist für seine landschaftliche Schönheit berühmt, aber schiffbar ist er leider nur 12 km, dann müssen wir zurück. Mit dem Strom sind wir rasch wieder in Verdun-sur-le-Doubs, einem hübschen Ort oberhalb des Zusammenflusses von Saône und Doubs. Nach einem Spaziergang fahren wir auf der Saône weiter bis Chalon sur Saône. Eine große Marina liegt gegenüber vom Ort, und am Steg kommt uns gleich ein Mann entgegen, der meint, Schiffe über 15 Meter dürften hier nicht anlegen. Ich sage ihm strahlend, das würde ja gut passen, denn „Moses“ sei genau 15 Meter lang. Er glaubt mir kein Wort, lässt uns aber schmunzelnd festmachen. (Tatsächlich haben wir ohne Ruderblatt eine Länge von 16,40 m). Wir machen uns mal wieder mit den Fahrrädern zu einer Stadtbesichtigung auf. Es ist eine lebhafte Stadt und anscheinend auch Ausgangspunkt für Flussreisen mit großen Hotelschiffen. Am nächsten Morgen ist wieder dicker Nebel. Erst gegen Mittag hat die Sonne gesiegt und wir können weiter. Anfangs stehe ich am Steuer, die Landschaft ist flach, die Fahrt geruhsam, nur dem Treibholz des Hochwassers weiche ich möglichst aus, damit es uns nicht in die Schraube kommt. Aber plötzlich bläst mir Wind kräftig ins Gesicht, die Kronen der Bäume biegen sich, auf dem Wasser bilden sich weiße Schaumkronen. Ich fühle mich unsicher und unbehaglich und bitte Per das Steuer zu übernehmen Der Kahn stampft heftig, das aufspritzende Wasser wird bis ans Steuer geweht. So macht das Fahren keinen Spaß. Erst kurz vor Tournus lässt der Wind ebenso plötzlich wieder nach, und wir legen an einem sehr komfortablen und noch dazu kostenlosen Anleger mit Strom und Wasser an (obwohl auch hier ein Schild verkündet, dass nur Boote bis 15 m Länge festmachen dürfen). Die Promenade am Hafen ist von Platanen gesäumt und mit Blumen geschmückt, eine kleine Straße führt direkt in die Altstadt. Der Bummel durch die Straßen macht Spaß, es gibt viele Geschäfte mit Kunsthandwerk, wenig ausgesprochenen Kitsch. Vor den Restaurants und Kneipen sitzen die Leute noch draußen, denn der Wind kam von Süden und es sind 20°C. Die Hauptstraße zieht sich weit hin und an ihrem Ende landen wir vor einer Kirche. Bei der Besichtigung stellen wir fest, dass es sich um ein Kloster in romanischem Baustil von außerordentlicher Dimension und Schönheit handelt. Erst als wir wieder an Bord sind, lesen wir im Baedecker nach und erfahren, dass die ehemalige Abteikirche zu den bedeutendsten romanischen Sakralbauten Frankreichs gehört. Tournus gefällt uns so gut, dass wir noch drei Tage bleiben, obwohl ein weiteres Schild am Anleger den Aufenthalt auf max. 36 Stunden beschränkt. Am Freitag, unserem dritten Tag, fragt man uns dann aber doch, wann wir ablegen wollen. Am nächsten Morgen schnell noch ein Bummel über die Hauptstraße, die heute für einen großen lebhaften und farbenfrohen Markt komplett für Autos gesperrt ist, dann müssen wir uns leider von Tournus trennen. Aber die nächste Stadt ist nicht weit, schon vier Stunden später legen wir gegenüber von Macon an. Hier steppt wirklich der Bär. Die Altstadt besteht überwiegend aus Fußgängerzonen, ein kleiner Laden neben dem anderen. Ein mächtiges Gewimmel von Menschen überall auf den Straßen und viele deutsche Fähnchen. Es ist sicher eine Stadt wie geschaffen für einen Einkaufsbummel. In den kleinen Geschäften wird schicke und bezahlbare Mode angeboten, aber da das für Per und mich nicht so interessant ist, ermüden wir schnell. Munter werden wir erst wieder, als zwei kleine Volkstanzgruppen – eine aus Macon und eine aus Neustadt an der Weinstraße – auf der Straße aufmarschieren und tanzen. Die beiden Städte feiern an diesem Wochenende ihre 50jährige Städtepartnerschaft. Wieder am Steg, legt noch ein Schiff vor uns an, man kommt ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass es David Edward-May ist, der Autor des Buches „Binnengewässer Frankreichs“, das natürlich auch in unserer Bordbibliothek steht. Abends sitzen wir mit David, seinen beiden Töchtern und Schwiegersohn bei uns an Deck beim Wein, und am nächsten Tag fahren wir gemeinsam weiter Richtung Lyon. Die Saône hat jetzt etwa 1-2 km Strömung und ist zwischen 100 und 200 Meter breit. Die Ufer sind überwiegend baumbestanden. Ca. 60 km vor Lyon tauchen am Horizont scherenschnittartig Berge auf, etwa 40 km vor Lyon sind sie neben uns und schließlich vor uns. Gegen 13 h kommt wieder Wind auf, der immer stärker wird und schließlich auf Stärke 5-7 anschwillt. Wir haben ihn genau gegenan, denn er kommt wieder aus Süden und ist warm. Der Himmel bleibt strahlend blau, gegen 14 h haben wir 21,6°C. Aber wieder sorgt der Wind dafür, dass Spritzer bis ans Steuer kommen und die Regenjacke gebraucht wird. Wir kommen an Trévaux vorbei, einem Ort, der vom Wasser aus sehr reizvoll aussieht. Wir heben ihn uns für die Rückfahrt auf, denn alles, was wir jetzt nach Süden fahren, müssen wir im nächsten Jahr wieder nach Norden. Ungefähr 70 km liegen heute hinter uns, als wir in Lyon ankommen. Man fährt zu Anfang nicht durch Industrievororte, sondern die Besiedlung mit Villen und Einfamilienhäusern geht langsam in städtische Bebauung über. Bei der Durchfahrt durch die Innenstadt sind wir überwältigt von den schönen Häusern am Ufer und den ebenso schönen Brücken, die wir passieren. Neben dem Hausboot „Henriette“ (das auf Seite eines noch größeren Hausbootes liegt), macht David fest, und wir werden eingeladen auch dort anzulegen. Herr und Frau Michelin, denen die Henriette gehört, laden David und seine Familie, aber auch uns auf ein Glas Champagner ein, und so werden wir in dieser Stadt herzlich aufgenommen. Die Michelins zeigen uns anschließend ihr Schiff, auf dem einmal 20 Kinder samt Betreuer und Kapitän untergekommen sind. Entsprechend ist es jetzt eine vollwertige Wohnung, aber die Beiden wohnen in Grenoble, das ist nur 1 Std. 20 Min. mit dem Auto entfernt. Wassersport und Skilaufen liegen also hier dicht beieinander. Unsere Nacht wird mehr als unruhig. Der Wind hat kein bisschen nachgelassen, Moses wird hin und her geschaukelt. Das ist nicht so schlimm, aber unter dem Bett ist der 1000 l Frischwassertank, und in dem schaukelt unter unseren Köpfen das Wasser und knallt gegen die Wände des Tanks. Ich schrecke immer wieder hoch, Per bleibt schlaflos und zieht nachts um 3 h in den Salon. Die nächsten Tage sind sonnig und warm. Die Temperatur steigt auf bis zu 27°C, vor den Cafés und Restaurants sitzen die Menschen, wir laufen durch dieses wunderschöne Lyon und sind begeistert. Eine graue Industriemaus hatten wir erwartet und erleben zu unserer Überraschung eine strahlende Schönheit. Sehenswert ist nicht nur „Vieux Lyon“, ein Viertel aus der Renaissance (UNESCO Weltkulturerbe), sondern auch die vielen anderen Stadtteile, die jeweils ihren eigenen Charme haben. Besonders faszinierend ist, wie viel Wert auf die Pflege des Stadtbildes gelegt wird. Im zentralen Geschäftsviertel sind die Häuser hell und haben reichhaltig verzierte gusseiserne Gitter an Fenstern und Balkonen. Die Läden in diesen Häusern sind nicht – wie in so vielen deutschen Städten mit Fachwerkhäusern – störender Fremdkörper, sondern passen sich in ihrer Gestaltung dem Charakter des Hauses an. Keine aufdringlich bunte Werbung stört die Schönheit der Fassaden – keine Satelliten-Schüssel hängt auf einem Balkon. Wir erfahren, dass das Anbringen von Satelliten-Schüsseln verboten ist und selbst ein Geschäft wie „Saturn“ sie daher gar nicht erst im Sortiment hat. Auch für das leibliche Wohl ist Lyon berühmt. „Bouchons“, hübsche kleine Restaurants, bieten Lyoner Spezialitäten zu günstigen Preisen. Zu den Spezialitäten gehören besonders Würste aus Innereien, warmer Ziegenkäse, Gänseleber – nicht unbedingt unsere Geschmacksrichtung. Nach zwei Tagen zu Fuß durch diese großartige Stadt müssen wir unser Schiff verlegen. Auch hier ist man konsequent, mehr als zwei Schiffe dürfen nicht nebeneinander liegen. Es gibt überall an den Kais der Saône kostenlose Anlegemöglichkeiten, allerdings weder Strom noch Wasser. Außerdem liegen wir nun unterhalb der viel befahrenen Uferstraße, und nachts wachen wir auf vom lautstarken   Feiern junger Leute neben unserem Schiff. Dafür bekommen wir die Fahrräder leicht von Bord und sehen so mehr in kürzerer Zeit. Sehr beeindruckt sind wir von den Arbeiten der „Cité de laCréation“. Diese Gruppe hat triste Häuserfassaden zu Kunstwerken gemacht, die Ziele von Touristenbussen sind. Reales und Gemaltes wird in den Bildern gekonnt verknüpft; manchmal ist es kaum zu unterscheiden. Schön zu wissen, dass die Gruppe demnächst auch Hellersdorfer Wände verschönern wird – vielleicht bekommen wir in Berlin dann eine neue Touristenattraktion. Nach 6 Tagen Lyon legen wir nur deshalb wieder ab, weil wir wissen - im nächsten Sommer kommen wir wieder.
Bei Lyon mündet die Saône in die Rhône, und die werden wir in den nächsten Wochen bis zum Mittelmeer hinunter fahren.
Auf der Rhône kommt Pers neueste technische Idee zum Einsatz. Er hat eine Konstruktion entworfen und gebaut, mit der Moses per Fernbedienung zu fahren ist. Nun können wir im gepolsterten Sessel an Deck sitzen, per Joystick steuern und das Steuerrad dreht sich wie durch Geisterhand. Nach etwa 3 Kilometern kommt die erste Schleuse mit 11,80 Meter Hub. Damit ist sie eine der niedrigen, die höchste hat 23 Meter. Unten angekommen, erscheinen die hohen Schleusenwände und die gigantischen Schleusentore sehr bedrohlich. Daneben nehmen sich die niedlichen Schleusen der Kanäle mit ihren romantischen Schleusenhäuschen wie Spielzeuge aus dem Legoland aus. Wir fahren jetzt teils auf der Rhône, teils auf Kanalstücken, die wegen der Staustufen neben der Rhône angelegt sind. Bei der Weiterfahrt verlaufen streckenweise sowohl Nationalstraße als auch Autobahn neben dem Fluss. Entsprechend ist der Geräuschpegel. Eigentlich wollten wir in Vienne anlegen, es soll angeblich eine hübsche Stadt sein. Aber der Verkehrslärm ist so stark, dass wir uns zum Weiterfahren entschließen. Es wird landschaftlich reizvoller, wir kommen in die Weinberge. Bei km 41 (es zählt ab Lyon) erreichen wir den Hafen von Les-Roches-de-Condrieu. Hier liegt man ruhig mit einem schönen Blick auf die Weinberge und auf eine dekorative Brücke. Auch bei der Weiterfahrt bleiben wir im Gebiet des „Cote du Rhône“. Große Tafeln mit den Namen der Güter sind mitten in den Weinbergen aufgestellt. Aber es bleibt nicht so schön, bald tauchen große Kraftwerke auf, die Berge liegen weit vom Ufer entfernt. Plötzlich bemerkt Per, dass der Motor nicht genügend Kühlwasser bekommt. Was tun? Nirgendwo eine Möglichkeit zum Anlegen. Aber Per fällt immer eine Lösung ein. In seinem schwimmenden Baumarkt ist auch eine kleine 12 V Tauchpumpe. Mit Hilfe des Peekhakens baut er sie außenbords an und leitet Wasser über einen Schlauch direkt in den Seewasserfilter. Auf diese Weise kommen wir bis nach Andanc, wo wir bleiben wollen. Aber der Anleger hier besteht aus schrägen Wänden, ein sicheres Festmachen ist unmöglich. Wir entschließen uns zum Weiterfahren, obwohl die nächste Anlegemöglichkeit noch 20 Kilometer und eine Schleuse weit entfernt ist. Während der Weiterfahrt gibt es noch mehrmals Probleme mit Pers Hilfskonstruktion, aber er bekommt sie immer wieder in den Griff. Auch beim Ort St. Vallier gibt es nur eine Schrägwand zum Fluss hin. Hier ist das Anlegen sogar verboten. Nach Andac wurde die Landschaft großartig. Berge gehen bis ans Ufer, teilweise sind sie bewaldet, teilweise sind es Weinberge und einige wirken mit Gestein und Gestrüpp dazwischen schon sehr südlich. Ich bedaure es, dass wir hier nicht einfach irgendwo bleiben können. Gerade mit einbrechender Dämmerung erreichen wir den kleinen Hafen von Tournon. Er ist nicht besonders hübsch, und für ein Schiff unserer Länge gibt es nur eine Anlegemöglichkeit. Hier treffen wir auch das Lehrerpärchen aus Berlin wieder, die schon in Lyon mit einem „kleinen Bruder“ von Moses mit uns am Kai lagen. In Les-Roches-de-Condrieu hatten wir uns auch getroffen und sind jetzt gemeinsam nach Tournon gekommen. Als wir am Abend erst an Bord des gemütlichen Schiffes von Andrea und Günther einen Sherry trinken und später bei uns noch beim Wein plaudern, stellt sich heraus, dass Per und Günther alte Kollegen sind. Günther war vor über 15 Jahren noch beim Internationalen Bund (dem ehemaligen Arbeitgeber von Per) Betriebsrat in Baden-Württemberg, und sie waren sich bei überregionalen Betriebsratstreffen begegnet. Die Welt ist doch klein. Am nächsten Morgen ist es deutlich kühler, Wind ist aufgekommen, diesmal von Norden. Per hat mit der Kühlwasserpumpe zu tun, aber, nachdem alle Schellen nachgezogen sind, funktioniert die Motorkühlung wieder. Tournon bietet außer einem dekorativen Schloss nicht besonders viel, aber Spaß macht eine Tour in die Weinberge hinter der Stadt. Wir mühen uns mit den Fahrrädern hoch zu einem Turm, auf dem eine Madonna steht, die schützend ihre Hände über den Ort hält. Danach wird es steiler, nur noch ein Wanderweg führt bis zu einer Aussichtsplattform mit einem wunderbaren Blick über das Rhônetal.
Dann passiert etwas Unvorhergesehenes: Kater Felix ist krank. Die Adresse eines Tierarztes bekommen wir vom Touristenbüro. Aber wie schaffen wir Felix dort hin? Wir haben ja nur die Fahrräder, und die Katzentasche passt nicht in den Fahrradkorb. Also hält Per mit einer Hand den Kater mit seinen 6,5 kg etwas weg von den Speichen und fährt mit der anderen Hand. Der Weg ist um einiges länger als gedacht, und Per macht hartes Krafttraining. Wie die meisten Vertreter der „Grande Nation“ hat es auch der Tierarzt nicht so recht mit den Fremdsprachen. Sein Englisch ist schlechter als unser Französisch, daher ist die Verständigung nicht ganz einfach. Felix hat eine Infektion der Blase. Mit Spritzen, Tabletten, einem Antibiotikum und Diätfutter sollte es schnell besser werden.
Am nächsten Morgen kommen wir mit einem Franzosen in ein kurzes Gespräch. Er erzählt von den Winden auf der Rhône. Da ist einmal der warme Südwind, der Schirokko, der auch „Wind der Verrückten“ genannt wird, denn er macht viele Leute nervös und gereizt. Dann gibt es den Mistral, den kalten Wind aus dem Norden, der im Hochsommer sehr willkommen ist, weil er kalte Luft aus dem Norden bringt. Aber jetzt ist er nicht so erwünscht, doch für heute Abend hat ihn der Wetterbericht angekündigt. Das ist für uns kein Problem, denn bis dahin sind wir im schützenden Hafen. Valence, unser nächstes Ziel, ist nur 20 km entfernt. Allerdings beeilt sich der Mistral, Der Wind wird immer heftiger, die Rhône hat weiße Schaumkronen. Als wir gegen 14 h anlegen wollen, haben wir Mühe das Schiff am Steg festzumachen. Unser Windmesser zeigt Windstärke 6, wenig später sind es 10 Windstärken. Der Mistral dauert 3, 6 oder 9 Tage, hat uns der Franzose gesagt. Erwartungsgemäß bläst er auch am nächsten Tag unvermindert heftig und es sind nur 3°C. Obwohl Valence ein teurer Hafen ist, bleiben wir und Per meint, es wird Zeit für die Konfektproduktion. Er holt seine Zutaten heraus und zaubert wunderbare Trüffel und Pralinen. Außerdem sorgt er für leckere Wurst. Die hiesigen überwiegend luftgetrockneten Würste schmecken uns nicht besonders gut. Per legt Würste und auch mageren Speck in den Räucherofen, und nach kurzer Zeit sind wir mit Aufschnitt und frisch geräuchertem Speck versorgt. Am 03. November ist der Wind abgeflaut, der Himmel wolkenlos, aber es ist wieder recht kalt. Andrea und Günther lassen ihr Schiff hier bis März liegen und wollen nach Israel, Indien und Vietnam. Wir ziehen weiter in Richtung Süden. Wenig später reichen Felsen schroff bis an den Fluss hinunter, später weichen sie zurück und sind als hohe bewaldete Hügel mit runden Kuppen etwas von der Rhône entfernt. Allerdings passieren wir auch ein wenig dekoratives Atomkraftwerk, dann – nicht direkt an der Rhône – Montelimar, wo man nicht einmal anlegen kann. Unsere nächste Station ist Viviers. Die Stadt ist außerordentlich beeindruckend, alte Häuser und oben auf einem Felsplateau ein Kirchenbezirk, denn im 5. Jahrhundert war Viviers Bischofsstadt. Die Kirche aus dem 12. bis 15 Jh. ist sehenswert, aber am schönsten ist der Blick von der Terrasse auf die Stadt, den Mont Ventoux (1912 m hoch) und das Rhône-Tal. Allerdings ist der Wind wieder stärker geworden, er ist schneidend kalt und lässt uns schnell runter zum Schiff gehen. Weiter Rhône abwärts geht es vorbei an bizarren Kalksteinformationen. Einige sind mit Gebüsch bis zum Gipfel bewachsen, bei anderen ragt der weiße Fels aus dem Grün. Es stehen aber auch wieder Atomkraftwerke am Ufer. Auf einem der Kühltürme zeigt ein großes Bild ein mit einer Muschel spielendes Kind. Das unangenehme Gefühl im Bauch bei der Vorbeifahrt werden wir dadurch aber auch nicht los. Der Mistral bläst kräftig und bringt bittere Kälte von hinten - trotz strahlend blauem Himmel. Wir sitzen warm eingepackt an Deck, das Gesicht nach Süden, der Sonne entgegen, geschützt mit Sonnencreme und Sonnenbrillen. Das gleißende Sonnenlicht der jetzt schon sehr flach über dem Horizont stehenden Sonne macht es schwierig, die Farben der Fahrwasserbojen zu erkennen. Immer wieder greifen wir zum Fernglas, um uns zwischen Bojen und Brückendurchfahrten zu orientieren. Nach unserer Karte soll es in St.-Etienne-des-Sorts einen Anleger geben – denkste. Es dämmert schon, das Anlegen am Ufer des Flusses ist unmöglich, aber es wird jetzt höchste Zeit festzumachen. Schließlich finden wir einen Platz, an dem mal ein Hausboot gelegen hat. Zwei Poller sind noch vorhanden, aber die Kaimauer ist schräg. Zum Glück hat der Hausbootbesitzer ein paar Autoreifen hinterlassen, die wir neben Moses soweit versenken können, dass uns die Wellen größerer Frachtschiffe  nicht gegen die Kaimauer dotzen lassen. Noch 40 km bis Avignon. Am nächsten Tag sehen wir Berge am Ufer, Burgen auf ihren Kuppen und wieder keine Möglichkeit zum Anlegen – schade. Am 05. November fahren wir gegen 16 h an der berühmten Brücke von Avignon vorbei, genau mit dem richtigen Fotolicht. Anlegen kann man am Kai sehr bequem mit Strom und Wasser, aber leider unterhalb einer viel befahrenen Straße.
Die berühmte Brücke wurde zwischen 1177 und 1185 erbaut und ist seit 1668 als Übergang geschlossen, weil die unberechenbare Rhône einen großen Teil im Laufe der Jahrhunderte weggerissen hat. Habt Ihr gewusst, dass von 1309 bis 1379 die Päpste in Avignon residiert haben? Wir nicht. Umso größer die Überraschung über den riesigen Papstpalast, der als der größte gotische Palast der Welt gilt. Es ist ein gewaltiger Bau, und mit seinen zehn bis zu 50 Meter hohenTürmen ähnelt er mehr einer Befestigungsanlage als einem Palast. Avignon hat 88.000 Einwohner, eine Universität und ist berühmt als Theaterstadt. Es gibt 12 ständige Theater und viele freie Gruppen. In den letzen 3 Wochen im Juli findet hier das größte Theaterfestival der Welt statt, mit etwa 700 Vorstellungen pro Tag in den Theatern, im Papstpalast und auf den Plätzen und Straßen.
In den nächsten Tagen singen und tanzen wir zwar nicht auf der Brücke, sind aber viele Stunden unterwegs, um die Stadt zu entdecken. Der Mistral schläft ein, die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel, die Temperatur erreicht tagsüber 16 bis 20°C. Seit einer Woche genießen wir die sonnigen Novembertage, Kater Felix ist wieder gesund und beschwert sich heftig über diesen Platz hier am Betonkai. Langsam bekommen wir Lust, die Reise fortzusetzen.

 

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© Per & Sylvia Pehle