Wie immer - zum Vergrößern die Bilder mit der Maus anklicken!
Bericht 8
Aller guten Dinge sind Drei – Canal de Bourgogne
19. September bis 11. Oktober 2006

242 km lang, 189 Schleusen, davon 113 aufwärts und 76 abwärts, ein Tunnel.
Alle Schleusen sind 38,5 m lang und 5 m breit und fast ausschließlich von Hand zu bedienen.
Gebaut wurde am Canal de Bourgogne von 1784 bis 1837.
Ziel: Eine Verbindung auf dem Wasser von Paris über Lyon nach Marseille.

„Joigny müsst Ihr Euch ansehen“, hatte uns ein Freizeitkapitän aus der Schweiz empfohlen. Dazu muss man auf der Yonne bleiben und erst einmal an der Zufahrt zum Canal de Bourgogne vorbei fahren, aber wir haben ja Zeit. Außerdem genießen wir nach der Kanalfahrt die Flusslandschaft mit ihren dicht bewachsenen Ufern, umgestürzten Bäumen, Schlingpflanzen und weit ins Wasser ragenden Ästen. Am Abend des 19. September machen wir im Hafen gegenüber von Joigny fest, sitzen beim Wein im Cockpit und schauen auf die gegenüber liegende Stadt. Auf dem Gipfel eines Hügels ragt die Kirche hoch empor, die Häuser ziehen sich den Hang hinauf und ein Gewirr von Dächern drängt sich eng um die Kirche. Ein Stadtbummel führt durch einen mittelalterlichen Stadtkern mit kleinen und kleinsten Gässchen und vorbei an zahlreichen Fachwerk- häusern aus dem 16. Jahrhundert. Das schönste hat bunte Fliesen in den Fachungen und bei vielen tragen die Fachwerkbalken geschnitzte Figuren und Ornamente.
Am 21. September verlassen wir mittags Joigny und fahren in den Canal de Bourgogne. Der ist am Anfang schnurgerade und stinklangweilig. Neben uns eine viel befahrene Eisenbahntrasse, Gewerbegebiete, ab und zu Ackerland, teilweise Büsche und Bäume, die jede Sicht verhindern. Erst als wir in der Ferne die Kirche von St. Florentin auf einem Hügel sehen, wird es hübscher. Am Ort gibt es einen kostenlosen Anleger, wir nehmen die Fahrräder und radeln durch das hübsche Städtchen. Die Kirche ist ausnahmsweise nicht offen, den Schlüssel gibt es im Touristenbüro, aber mit einem ungewöhnlich schönen Lettner und großartige Figuren aus Marmor ist sie sehr sehenswert.
Am nächsten Tag fahren wir mit Moses weiter durch flaches Ackeland. An den Kanalseiten stehen häufig Walnussbäume, Spaziergänger mit vollen Tüten sind auf dem Treidelweg zu sehen. Per legt zum Ernteeinsatz an, hilft aber etwas nach: Mit dem Bootshaken schüttelt er die Äste, dann brauchen wir nur noch zu sammeln.
Nächste Station ist Tonnerre, auch hier ein kostenloser Anleger, sogar mit Wasser und Strom. Vom Stadtbild sind wir nicht sehr begeistert, aber Tonnerre hat zwei besondere Sehenswürdigkeiten. Die eine ist das „Hotel Dieu“ von 1295, ein Krankensaal mit 91 m Länge, überdacht mit einem gewaltigen Tonnengewölbe aus Holz. Unter den ausgestellten Kunstwerken beeindruckt uns besonders eine Steingruppe von 1454 aus Burgund „die Grablegung“ (siehe Bild). Sehr sehenswert ist auch die Fosse Dionne. Unterhalb des Straßenniveaus ist ein großes rundes, steinernes Becken, um das sich Waschhäuser gruppieren. Gespeist wird es von einer unterirdischen Quelle, und das Wasser hat eine fast unnatürlich leuchtend blau-grüne Farbe.
Nach der Besichtigung der Stadt müssen wir noch eine Aktion zur Bewältigung unseres Alltags erledigen. Wir brauchen neues Gas. Die hiesigen Gasflaschen haben zwar die passenden Anschlüsse, sind aber zu groß, um in die vorgesehenen Aufbewahrungstonnen zu passen. Also kaufen wir eine französische Monsterflasche und transportieren sie sehr mühsam mit Hilfe von Gurten auf dem Gepäckständer des Fahrrads. Dann hängt Per die französische Flasche an einen Haken unter dem Mast, verbindet sie mit der deutschen Flasche, gießt heißes Wasser über die französische und das Gas strömt nach unten. Auf diese Weise füllt Per zwei deutsche Flaschen und auch noch einige kleinere amerikanische, die direkt am Grill angeschlossen werden.
Das Schleusen im Kanal ist nicht immer ohne Probleme, als wir am Sonntag in eine Schleuse einfahren, ist kein Schleusenwärter zu sehen. Unter einer angeschlagenen Telefonnummer meldet sich niemand. Schließlich fahre ich auf dem Fahrrad die zwei Kilometer zu der letzten Schleuse zurück und frage nach. Da stellt sich heraus, dass der Schleusenwärter heute seinen freien Tag hat. Sein Chef hat vergessen, einen Ersatzmann zu schicken. Das will er nun nachholen – aber dessen Ankunft ist ungewiss. Auf meine Bitte, und nach einem weiteren Telefonat, bekommt der junge Mann die Erlaubnis, zu "unserer" Schleuse zu radeln und uns durchzuschleusen. Natürlich könnten wir das Schleusen problemlos alleine machen, aber die Schleusenwärter nehmen die Kurbel zum Bedienen der Schütze leider immer mit, sie dürfen uns keine geben.
Das Wetter hat sich verschlechtert, 16°C und grauer Himmel. Die Landschaft neben uns ist teils flach, teils hügelig. Waren neben dem Canal du Nivernais überwiegend Wiesen mit Charolais-Rindern, so überwiegen hier die Ackerflächen.
Obwohl wir schon eine große Tasche voller Walnüsse geerntet haben, hält Per Ausschau nach mehr. Als wir an einem Walnussbaum vorbei kommen, dessen Äste weit über das Wasser hängen. Per bugsiert den Bug von Moses genau darunter, dann brauchen wir nur noch zu schütteln und die Nüsse prasseln herunter. Die Ernte ist reichlich, aber wir haben auch gut zu tun, das Schiff wieder von Schalen, Blättern und Zweigen zu reinigen. Aus schlauen Büchern weiß man, wie gut die Schalen der Walnuss färben. An unseren Händen und auf Deck zeigt sich der praktische Beweis. Das kann man wirklich nur noch rauswachsen lassen und bei der nächsten Ernte Gummihandschuhe anziehen.
Als wir an einer Ausbuchtung des Kanals mit Seerosenblättern vorbeikommen, sieht Per eine leuchtend bunte Blumenwiese. Wir steigen aus und pflücken drei große Sträuße.
Weil wir so lange pausieren, kommt wenig später der Wärter der nächst folgenden Schleuse nach uns gucken. Da die Schleusenwärter die passierenden Schiffe dem nächsten melden, machte der sich Sorgen, ob wir vielleicht eine Panne haben. Es wird also gut auf uns aufgepasst.
Bei der Weiterfahrt ragt neben uns aus dem Dunkelgrün des Waldes eine Felswand aus leuchtend weißem Sandstein auf. Kurz danach erreichen wir Cry. Hier gibt es einen kostenlosen Anleger mit Wasser (ohne Strom) in einer Ausbuchtung neben einer Wiese mit Picknicktischen, im Hintergrund die Felswand. Ein romantischer Nachtplatz. Der Kanal verläuft zum großen Teil im Tal des l’Armacon. Entsprechend hatten wir ihn oft neben uns und überqueren ihn hier bei Cry über eine schöne alte Steinbrücke, um in den kleinen Ort zu kommen. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeit (morgens gegen 9 h kommt das Bäckerauto vorbei), aber die gepflegten alten Häuser überwiegend aus Sandstein machen Cry sympathisch.
Unsere nächste Station ist Montbard. Der Anleger hier ist nicht schön, aber trotz Stromanschluss kostenlos. Wir kommen mit einem Ehepaar ins Gespräch, das näher gekommen war, um sich „Moses“ anzusehen. Er ist Deutscher, lebt aber schon ewig in Australien, sie ist Australierin. Die Beiden fragen uns, ob wir in ihrem Mietwagen mitfahren wollen zum Kloster Fontenay, der Sehenswürdigkeit hier. Ich bin sehr begeistert, denn wir wollten diese alte Zisterzienserabtei unbedingt sehen und wären sonst morgen mit dem Fahrrad hingefahren. Wie wir bei der Autofahrt feststellen, ist es ganz schön weit und geht auch gut rauf und runter. Prima, dass wir das nicht abradeln müssen. Die Abtei wurde im 12. Jhd. erbaut, gilt als wichtiges Beispiel für die frühe Architektur des Zisterzienserordens und ist daher ein UNESCO-Weltkulturerbe. Beeindruckend ist die Kirche schon wegen ihrer Größe: 66 m lang und 16,50 m hoch. Die Abtei wurde 1790 aufgelöst und 1820 in eine Papierfabrik umgewandelt. Seit 1906 ist sie in Privatbesitz, wurde von den Eigentümern renoviert und der gesamte Klosterbereich in einen sehr gepflegten Zustand versetzt.
Vom nächsten Tag an wird die Landschaft um uns herum immer interessanter, die Hügel werden dichter und höher, wir fahren durch eine Mittelgebirgslandschaft. Die Hügelkuppen sind entweder bewaldet oder tragen kleine Orte. Wir passieren die Schleuse 56, d.h. es sind noch 55 Schleusen bis zur Scheitelhaltung, dann geht es wieder runter.
Unserer nächsten Station – Venerey les Laumes – sehen wir mit besonderer Freude entgegen. In Reims hörte unsere Spiegelreflex-Kamera plötzlich auf zu funktionieren, und wir hatten nur noch unsere alte Digitalkamera zur Verfügung. Carsten hat die kaputte Kamera von Paris aus nach Berlin mitgenommen, Ingeborg hat sie in Berlin zur Reparatur gebracht und wieder abgeholt, und das Touristenbüro in Joigny hat mit dem in Venerey les Laumes vereinbart, dass die Kamera zu unseren Händen dorthin geschickt werden kann. Am nächsten Tag trifft tatsächlich die Kamera ein, wir bekommen das Paket ohne Quittung, Unterschrift oder was sonst sicher in Deutschland anfallen würde, einfach ausgehändigt. Diese nette Hilfsbereitschaft fügt sich ein in die ausschließlich guten Erfahrungen, die wir mit den Touristenbüros bisher in Frankreich gemacht haben. Der Hafen von Venerey les Laumes ist nicht besonders schön, in erster Linie liegen hier Charterschiffe. Wir zahlen nur 5 € Liegegebühr und 4 € für Strom und Wasser. Wie überall kann man dafür unbegrenzt Strom und Wasser entnehmen. Also kein Problem für uns Waschtrockner und Geschirrspüler zu nutzen und morgens mit dem Heizlüfter für angenehme Temperatur unter Deck zu sorgen.
Wer hat seinen Asterix „Der Avernerschild“ noch im Kopf hat, der kennt Alésia, dessen Namen die Bewohner des berühmten gallischen Dorfes gar nicht gerne hören. Schließlich hat hier Cäsar 52 v.Chr. den Gallier Vercingetorix geschlagen und ganz Gallien – na ja, ihr wisst schon, bis auf dieses kleine Dorf – war besiegt. Napoleon III. hat in Alésia auf einem Hügel nahe der antiken Stadt eine große Statue von Vercingetorix aufstellen lassen. Allerdings trägt er nur sein Schwert und kein Schild. Wo der Schild geblieben ist, wissen Asterix-Leser natürlich. Wir wollen Vercingetorix unsere Referenz erweisen und machen uns per Fahrrad auf den Weg. Es geht heftig bergan, auf dem letzten Stück können wir das Rad nur noch schieben. Die Aussicht von oben ist toll und der schnauzbärtige Vercingetorix steht da sehr dekorativ. Ich will auch die Ausgrabungsstätte der antiken Stadt sehen, dazu geht es noch einmal ein gutes Stück bergan. Von Alésia sind zwar fast nur noch Grundmauern und Keller übrig, aber durch eine Beschreibung mit Zeichnung auf Deutsch kann man sich das Leben in der recht großen Stadt mit dem Forum, Läden, Häusern mit Fußbodenheizung und einem Theater für immerhin 5.000 Besucher gut vorstellen.
Der nächste Vormittag, es ist der 29. September, ist angefüllt mit Arbeit am Schiff. Per kärchert es außen und bessert abgeplatzte Farbe aus. Für den Nachmittag haben wir mal eine Busfahrt zum 13 km entfernten Saumur-en-Auxois geplant, ein Städtchen, dem der „Baedecker“ sogar einen Stern verleiht. Wir sind nur zu Fünft im Bus, man kennt sich, und die ganze Zeit wird rege Konversation zwischen Fahrgästen und Fahrerin getrieben. Zu unserer Freude nimmt der Bus nicht den kürzesten Weg über die Hauptstraße, sondern fährt über viele kleine Orte durch das Mittelgebirge. Die Fahrt geht über Straßen, die man in Österreich als Güterwege bezeichnen würde. Man kann froh sein, wenn keiner entgegen kommt. Saumur-en-Auxois hat sich ein schönes mittelalterliches Stadtbild erhalten. Besonders, wenn man hinunter zum Fluss l’Armancon geht, ist der Blick nach oben zur Stadt mit den Türmen der alten Stadtbefestigung sehr malerisch. Aber mittelalterliche Stadtkerne sind klein, nach gut einer Stunde haben wir alles abgelaufen, auch die Kirche besichtigt und nur das Museum ausgelassen. Auf der Rückfahrt sind im Bus auch nicht mehr Fahrgäste, jetzt kennt die Busfahrerin auch uns, wir müssen gar nicht erst ansagen, wo wir hin wollen.
Noch einmal wird am Tag darauf vormittags am Schiff gearbeitet. Dann geht es weiter von Schleuse zu Schleuse. Wir kommen dem Scheitelpunkt immer näher und der Abstand zwischen den Schleusen beträgt oft nur 100 Meter. Zwischen 2 und 4 junge Männer begleiten uns auf Motorrädern von einer Schleuse zur anderen, und dank der vielen Hände schaffen wir 9 Schleusen in nur 2 Stunden. In Pouillenay ist ein kleiner kostenloser Hafen mit Pollern und Wasser, aber ohne Strom. Hier blieben wir über Nacht. Leider war der heutige Tag sehr regnerisch, immer wieder gab es Schauer, aber es ist dabei nicht kalt (Temperatur tagsüber über 20°C).
Schon am Abend wurden wir gefragt, wann wir am nächsten Tag ablegen wollen, und so erscheint auf unseren Wunsch zum frühest möglichen Termin, um 9 h, pünktlich ein junger Mann, der uns den ganzen Tag von Schleuse zu Schleuse begleiten wird. Für einen alleine ist das Schleusen langwierig, denn er muss immer um die gesamte Schleuse herumlaufen, um das zweite Tor zu schließen bzw. zu öffnen. In den Schleusenwänden sind hier nicht einmal Leitern, so dass wir nicht hochgehen und helfen können. Schließlich klettert Per über unsere Bordleiter an der Schleusenwand hoch und bedient jeweils ein Tor. Auf diese Weise schaffen wir heute 18 Schleusen. Leider war der Himmel wieder überwiegend stark bewölkt. Das ist besonders deshalb schade, weil wir kaum Fotos von der eindrucksvollen Mittelgebirgslandschaft machen konnten, durch die wir weiterhin fahren, und deren Berge sich bis zu 900 Meter hoch erheben. Gegen 15 h haben wir keine Lust mehr und legen am Ort Marigny le Cahouet an. Im Ort steppt der Bär, überall parken Autos und gegenüber von unserem Anleger wimmelt es vor Menschen. Natürlich stürzen wir uns rasch ins Gewühl und sind mitten in einem Flohmarkt, wo aller Ramsch dieser Welt unter das Volk gebracht werden soll. Aber es ist auch Volksfest hier an diesem Wochenende: ein Autoscooter, zwei oder drei Los- und Schießbuden, ein Karussell. Es gibt Stände mit Klamotten, Wein, Schmuck, Kerzen und allem, was so dazu gehört. An einem Weinstand probieren wir einen leckeren Chablis und kaufen ein paar Flaschen. Chablis aus dem Burgund ist ein guter Tropfen, aber er ist nicht billig, unter 8 € die Flasche ist nichts zu bekommen.
Tags darauf begleitet uns eine Schleusenwärterin ab 9 h, und, wie nicht anders zu erwarten, ist die Frau wesentlich schneller als ihr gestriger Kollege. Als später auch noch eine zweite Schleusenwärterin dazu kommt, schaffen wir bis zur Mittagspause 11 Schleusen. Noch vor der Mittagspause steht plötzlich ein Mann mit einer Kamera vor dem Bauch neben dem Schiff und fragt uns auf Deutsch, ob er Moses fotografieren dürfe. Daraus ergibt sich ein netter Schwatz. Er ist Berliner aus Spandau und ist irgendwann in Frankreich hängen geblieben. Jetzt bewohnt er mit Frau und Sohn zur Miete das Schleusenhaus an der "Ecluse" 19. Er begleitet uns über einige Schleusen, und zur Mittagspause bitten wir ihn an Bord und haben so wenigstens eine Stunde Zeit zum Reden. Wir hatten uns schon gewundert, warum im Canal de Bourgogne viele Schleusenhäusern leer stehen. Von ihm erfahren wir, dass die Kanalverwaltung sie lieber verfallen lässt, als sie noch weiter zu vermieten. Es ist wohl billiger, Schleusenwärter einzustellen, die woanders wohnen und per Moped von einer Schleuse zur anderen fahren.
Wenige Schleusen später liegt an Backbord „Pont Royal“. Ein Ort mit einem großzügigen Hafenbecken, aber man sieht, dass Pont Royal mal bessere Zeiten gesehen hat. Im letzten Jahrhundert herrschte hier durch die äußerst rege Berufsschifffahrt ein lebhaftes Treiben. Nach unserer Karte vom Jahr 2000 gibt es hier einen Bäcker, ein Restaurant, Strom, Wasser und Duschen. Die Realität sieht anders aus: Die Stromkästen sind tot, das Restaurant steht zum Verkauf, eine Bäckerei gibt es auch nicht mehr. Der Ort wirkt wie eine Geisterstadt.
15°C und Dauerregen, als wir am nächsten Morgen von Pont Royal ablegen. Hinter der folgenden Schleuse fahren wir durch ein schmales gemauertes Kanalbett. Per meint, hier hat man sich vermutlich durch einen Hügel gegraben. Danach führt uns der Kanal durch ein weites Tal mit zurück liegenden Hügeln. Wir können ausnahmsweise einmal 10 km im Stück fahren, ehe die nächste Schleuse kommt. Nach der Mittagspause erleben wir hautnah die zeitgemäße Art der Fortbewegung: Die Autobahn ist so nahe, dass uns lediglich eine breite Kuhweiden von ihr trennt. Nur die geruhsam grasenden Charolais-Rinder scheinen im Gegensatz zu uns lärmresistent zu sein. Kurze Zeit später sind 12 Schleusen zu passieren, die dicht aufeinander folgen. Es waren mal Selbstbedienungsschleusen, aber die Hebel zur Selbstbedienung sind ziemlich verrottet und teilweise herausgerissen. Wir fragen nach den Gründen und der Schleusenwärter sagt uns, es hätte so viele Probleme mit den kleinen Schiffen gegeben, dass man die Selbstbedienung aufgegeben hat – Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern können hier noch viel lernen! Jetzt fährt wieder ein Schleusenwärter mit uns von Schleuse zu Schleuse, aber es geht recht zügig, da alles elektrisch gesteuert wird. Nur die letzte Schleuse vor Pouilly en Auxois verlangt wieder Handarbeit. Hier machen wir in dem sehr angenehmen Hafen fest. Der charmante Schleusenwärter hat uns sofort auf alle Vorzüge des Hafens aufmerksam gemacht: Es gibt Wasser und Strom (allerdings ist von den zwei vorhandenen Stromkästen einer kaputt, an dem anderen hängt schon ein Wohnschiff, ein paar andere Schiffe sind auch noch da, und nur die endlos langen Leitungen, die Per an Bord hat, ermöglichen uns den Stromzugang), Supermarkt und Heimwerkermarkt sind in nur 2 Minuten zu Fuß zu erreichen. 10 € Liegegebühr sind ein akzeptabler Preis.
Per und ich haben eine Vereinbarung getroffen: Für jede Kirche, die er geduldig mit mir besichtigt, gehen wir in einem seiner geliebten Supermärkte bummeln. Inzwischen haben wir so viel mehr Kirchen als Supermärkte besucht, dass wir sofort den hiesigen aufsuchen und großzügig die Vorräte auffrischen. Der Regen, der uns tagsüber ständig begleitete, hat wie so oft am Abend aufgehört, das hebt sofort die Stimmung.
Wir sind über die Schleusen auf eine Höhe von 375 Metern gekommen. Um Pouilly herum liegen Seen, die den Kanal speisen. Höher konnte das Wasser nicht gebracht werden, also blieb den Konstrukteuren nur die Möglichkeit den Kanal in einem 3333 m langen Tunnel quer durch den Berg fortzusetzen. Auf unseren Fahrrädern machen wir uns auf, den Tunnel von oben anzusehen. Platanen stehen zu beiden Seiten eines Weges, der dem Tunnelverlauf folgt. Immer wieder ragen die gemauerten Luftschächte in die Höhe. Im Museum von Pouilly sehen wir uns die Konstruktionszeichnungen an. Besonders interessant ist die Art, wie früher die Schiffe durch den Tunnel gebracht wurden, denn es gibt dort keinen Treidelweg. Anfangs stießen Männer die Schiffe mit langen Stangen von der Tunnelwand ab, sie kamen pro Stoß ungefähr einen Meter voran. Dann wurde eine schwere Eisenkette auf den Kanalboden gelegt, an der zog sich ein mit Dampf betriebener Schlepper selbst durch den Tunnel (Prinzip Seilfähre). Ab 1903 wurde der Schlepper mit Strom betrieben, den er von einer Leitung an der Gewölbedecke bekam, ähnlich wie bei einer Straßenbahn. Der Strom wurde vor Ort an der Schleuse 1 von einem kleinen Elektrizitätswerk produziert. Der alte Schlepper steht heute überdacht neben dem Museum. Um 1900 sollen an jedem Kanalende Dutzende von Schiffen auf das Durchschleppen gewartet haben. Heute fahren nur noch wenige Freizeitschiffe durch den Tunnel. Weil Einbahnverkehr ist, muss man sich vor der Durchfahrt beim Schleusenwärter melden. Er fragt nach, ob am Boot funktionierende Scheinwerfer angebracht sind und für jeden Passagier Schwimmwesten vorhanden sind. Schließlich bekommen wir noch eine Art „Laufzettel“ mit und ein Funkgerät für alle Fälle. Es kann losgehen. Wir fahren ein in einen Graben, dessen immer höher werdende Wände mit Moosen, Farnen und Gräsern bewachsen sind. Terrassen und Mauern liegen vor dem düsteren Loch des Tunneleingangs. Wir schalten die Positionslichter und die Scheinwerfer an und gleiten in den gewölbten Schacht. Ich bin erstaunt, dass der Tunnel mehr als drei Kilometer lang ist, denn schon bei der Einfahrt ist das Ende als kleiner heller Punkt sichtbar. Zum Glück haben wir die Scheinwerfer, die die niedrige Decke und die sehr dicht neben uns verlaufenden Seitenwände aus Quadersteinen aus- leuchten. Ganz langsam tasten wir uns vorwärts, bemüht nicht die Seitenwände zu berühren. Immer, wenn wir an einem Belüftungsschacht vorbei kommen, versuche ich einen Blick nach oben zu erhaschen, dort unter den Platanen sind wir doch gestern noch entlang geradelt. Aber die Schächte sind zu hoch für einen Blick in den Himmel. Das Hochschauen macht eher Angst. Einmal habe ich das Gefühl, ich wäre in einen Brunnen gefallen und versuche vergeblich nach oben ins Tageslicht schauen zu können. Unter Platzangst darf man hier unten nicht leiden.
Wir sind froh, als der kleine Lichtpunkt der Ausfahrt größer und größer wird und wir nach einer Stunde Tunnelfahrt den Himmel über uns haben. Wieder umgeben uns üppig bewachsene steile Wände, dann geht der Kanal über in die normale Breite und die Weiterfahrt führt durch eine weitläufige Hügellandschaft. Der herbeigesehnte Himmel über uns ist bedeckt und ärgert uns mal wieder mit Schauern. Aber bei der Einfahrt nach Vandenesse reißt die Wolkendecke auf und Chateauneuf en Auxois liegt vor uns im Sonnenschein hoch oben auf einer Hügelkuppe. Was für ein wunderbarer Anblick! Der nächste Morgen bringt wieder Regen und erst, als am frühen Nachmittag die Sonne heraus kommt, machen wir uns fertig zur Radtour. Die Steigung nach Chateauneuf-en-Auxois wird bald so stark, dass wir schieben müssen. Für die Besichtigung des Schlosses (das eher wie eine Burg aussieht) bekommen wir einen Zettel in mehreren Sprachen in die Hand gedrückt, aber die Räume sind weniger interessant als der großartige Ausblick, den wir von oben haben. Anschließend bummeln wir durch das Dörfchen. Alle Häuser sind aus Naturstein, und Blumen schmücken Treppen (man kann schließlich auf jede Treppenstufe einen Blumentopf stellen), Geländer, Fenster und Mauern. Dieser Ort hat es sicherlich verdient, als eines der schönsten Dörfer Frankreichs zu gelten. Nach vielen Fotos geht's rasant talwärts. Unterwegs ein Ernteeinsatz unter zwei Walnussbäumen und dann noch ein Umweg zum 5 km entfernten Schloss Comarin. Es ist in Privatbesitz und bewohnt. Um auch nur in den Garten gehen zu dürfen, werden 2 € Eintrittsgeld fällig, dafür kann man dann einmal rund um das Schloss laufen, vorbei an gemähten Wiesen ohne eine Blume. Wir verzichten auf eine Innenbesichtigung und treten beim Rückweg kräftig in die Pedale, denn es ziehen schon wieder dunkle Wolken auf. Kurz vor einem kräftigen Schauer sind wir an Bord.
Bei der Weiterfahrt geht der Kanal durch das weite offene Tal der Ouche. Wir genießen dieses Tal und den Blick auf Chateauneuf-en-Auxois, den wir bis Schleuse 13 haben. Seit der Schleuse 12 kommt die Autobahn Paris- Dijon wieder näher, sie bleibt bis Schleuse 17 ziemlich nahe am Kanal. Danach ist sie nur noch als fernes Rauschen zu hören, aber nicht mehr zu sehen. Wir fahren jetzt durch eine schmale Schlucht, die Hügel steigen an den Seiten des Kanals hoch nach oben.. Das Abwärtsschleusen ist angenehm, man braucht nur eine Leine locker zu halten, das Schiff macht so gut wie keine Bewegungen. Wir werden jetzt von zwei jungen Leuten begleitet, brauchen daher auch nicht auszusteigen und zu helfen. In Pont d’Ouche, einem hübschen Hafenbecken mit Steganlagen, machen wir eine Pause und fahren dann weiter durch eine großartige bewaldete und bergige Landschaft. Einen Nachtplatz finden wir am Ufer bei Gissey-sur-Ouche, einem netten Ort mit vielen Natursteinhäusern, einer Brücke aus dem 13. Jhd., einer Kneipe, aber leider keinem Bäcker. Als wir am nächsten Morgen rausschauen ist der Nebel so dick, dass wir nichts von unserer Umgebung sehen. Erst nach 11 h bleibt die Sonne gegen den Nebel Sieger. Ein fast wolkenloser Himmel ist über uns, es wird sommerlich warm. Wir wollen heute nach Dijon, aber bis dahin sind es noch 21 Schleusen. Einer von uns steigt immer aus und hilft dem Schleusenwärter, und zwischen den vielen Schleusen freuen wir uns über die schöne Landschaft. Waldbedeckte Höhenzüge ragen teilweise unmittelbar neben dem Kanal auf, die Bäume beginnen sich herbstlich zu verfärben, ab und zu ragt eine weiße Felswand aus Kalkstein aus dem dichten Wald. Ab Schleuse „Chassagne“ (Nr. 39). weitet sich das Tal, die Hügel treten zurück. Leider kommt die Autobahn hier wieder sehr dicht an den Kanal und stört die Idylle. Sie bleibt uns erhalten bis kurz vor Dijon, mal direkt neben dem Kanal, mal etwas weiter entfernt. Um die Schleuserei zu beschleunigen kommen wir auf die Idee, dass es besser wäre, wenn ich mit dem Fahrrad auf dem Treidelweg nebenher fahre um zu helfen. So kann ich schon ein Tor aufmachen, bevor Per einfährt, und danach die eine Seite wieder zuschieben. Vorne kann ich anschließend eines der beiden Schütze aufkurbeln und das Tor für die Ausfahrt öffnen. So radele ich von Schleuse zu Schleuse. Die Schleusenwärter haben meist 2 oder 3 Schleusen zu bedienen, dann übernimmt der nächste. Zwischendurch bleibt Zeit für ein wenig Konversation und so erfahre ich, dass der Job als Schleusenwärter begehrt ist. Für 17 Tage Arbeit im Monat, dann aber von 9-12 und von 13-19 h gibt es 1.200,-- €.
Etwa 14 Schleusen vor Dijon sagt mir ein junger Schleusenwärter, er sei nun für alle Schleusen bis Dijon zuständig, da einige Kollegen krank geworden sind. Nach seiner Aussage wird das Personal immer weiter reduziert, weil im Sommer im Schnitt nur 6 bis 7 Schiffe pro Tag zu schleusen sind. So kurbele ich weiter Schütze und schiebe Schleusentore zu, bis wir gegen 18 h in Dijon im „Port de Plaisance“, wie die Anleger für

Freizeitschiffer heißen, festmachen. Mit 14,80 € incl. Strom und Wasser gehört Dijon zu den teuren Anlegern. Natürlich steht am nächsten Tag (09. Oktober) die Stadtbesichtigung auf dem Plan. Im Touristenbüro gibt es einen kleinen Führer und wie bei anderen Städten auch, ist ein Rundgang mit Pfeilen und Haltepunkten angelegt, der die Touristen an den Hauptsehenswürdigkeiten entlang führt. Wir klappern alle brav ab, aber der Funke der Begeisterung für diese Stadt springt nicht so recht über. Der gesamte Altstadtbereich ist Weltkulturerbe, weil er unzerstört erhalten geblieben ist. Warum hält sich unsere Begeisterung in Grenzen? Am besten gefällt es uns auf dem halbkreisförmigen Place de la Liberté, auf dem Springbrunnen plätschern und rundherum Cafés ihre Stühle herausgestellt haben. Ein Teil des sich anschließenden Herzoglichen Palastes ist heute Rathaus. Nach der Mittagspause können wir auf den 46 m hohen Turm Philippe-le-Bon steigen und haben von oben eine wunderbare Sicht über die Stadt. Am Nachmittag des nächsten Tages legen wir ab. Es ist sonnig und warm, der Kanal verläuft wie mit dem Lineal gezogen, rechts und links umgeben von Vorortindustrie. Dann kommt der Militärflughafen, und zwischen Schleuse 62 und 64 liegt die Einflugschneise. Ich werde nie vergessen, wie zwei Mirage-Jäger mit angeschalteten Scheinwerfern auf uns zu und dann über unsere Köpfe rasen und schließlich zur Landung ansetzen. Per fotografiert, ich lasse das Steuer los und presse mir beide Hände auf die Ohren, weil der Lärm unerträglich ist. Bei der Weiterfahrt stehen wir an einer Schleuse mal wieder alleine da, kein Schleusenwärter weit und breit. Per bastelt ein bisschen an einem Wantenspanner und schafft es damit die Schütze zu bedienen. So schleusen wir uns selber durch, und als später eine junge Schleusenwärterin auf ihrem Moped kommt, trifft sie uns zu ihrem Erstaunen eine Schleuse weiter als erwartet. Sie musste erst einige Hotelschiffe schleusen, die immer Vorrang haben. Wir hören von ihr, dass mehr Schiffe als sonst die Route über den Kanal nehmen, weil sowohl die Saône als auch der Doups wegen Hochwasser gesperrt sind. Sehr beunruhigend, denn wir müssen als nächstes auf die Saône. Der Kanal führt weiterhin schnurgerade durch eine langweilige Landschaft. Wegen der Wartezeiten an einigen Schleusen kommen wir heute nicht so weit wie geplant, gehen aber am nächsten Vormittag durch die letzten der 189 Schleusen und machen schließlich im Hafenbecken von St. Jean de Losne fest. Das ist ein wichtiger Knotenpunkt, nicht nur der Canal de Bourgogne, sondern auch der Canal du Rhône au Rhin treffen hier auf die Saône. Unsere erste Frage gilt natürlich der Befahrbarkeit der Saône. Das Hochwasser alleine war nicht der Grund für die Sperrung, es waren so viele Äste und anderes Treibgut im Wasser, dass sich eine Reihe von Schiffen die Schrauben kaputt gefahren hatte. Aber seit gestern ist die Saône wieder frei gegeben.
Die Reise kann weiter gehen!

Fazit: Wer ist der Schönste im ganzen Land?

Keinen der drei Kanäle möchten wir missen, jeder führte teilweise durch schöne Landschaft und vorbei an interessanten Orten, aber unser Favorit ist der Canal du Nivernais. Keine lärmenden Straßen störten, immer gab es ein stilles Nachtplätzchen am Kanalufer. Das Tal des l'Aron, die Felsen von Le Saissois, romantische Schleusenhäuser und hübsche Orte - schöner kann es nicht sein.
An zweiter Stelle steht für uns der Canal de Loing, später heißt er Canal de Briare und zum Schluss Canal latéral à la Loire und an dritter Stelle kommt erst der Canal de Bourgogne. Obwohl auch der schöne Abschnitte hat, gibt es triste Strecken, lärmende Straßen und - was viele Kanalfahrer enttäuscht - nicht einen Weinberg.

Zurück

© Per & Sylvia Pehle