Bericht 4 / Attigny bis Paris
28. Juli bis 11. August

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Die eine Crew packt alles aus dem Wohnmobil zurück aufs Schiff, die andere stellt alles bereit für die Heimfahrt nach Berlin. Abends wird zum Abschied gemeinsam gegrillt und auch ganz kräftig gezecht.
Bert, Kathrin, Ines und Carlo fahren am nächsten Morgen schon um 7 h los. Wir bleiben noch einen Tag in Attigny, um uns langsam wieder an Bord einzuleben. Außerdem liegen wir hier gut durch Bäume gegen die noch immer brennende Sonne geschützt. Attigny hat alles, was ein kleines französisches Städtchen ausmacht: eine Kirche aus dem 15. Jh., eine hübsches Rathaus und zwei Boulangerien für das immer benötigte frische Baguette.
Schließlich setzen wir die Tour auf dem Canal des Ardennes fort. Der Kanal hat keine Böschung, der Blick geht weit über die leicht gewellte Landschaft mit Getreidefeldern und Wald. Nach kurzer Zeit verdunkelt sich der Himmel, Wind kommt auf, die Temperatur sinkt und es regnet heftig. Wir legen am Ufer an und sind ganz zufrieden, dass die Hitzeperiode der letzten Wochen unterbrochen wird.
Gestern haben wir 8 automatisierte Schleusen passiert, und die funktionieren so ganz anders als in Deutschland. Etwa 100 m vor der Einfahrt hängt an einem Seil oder einem Galgen ein Stück Plastikschlauch über dem Wasser, den man im Vorbeifahren drehen muss. Kurz danach geht das Schleusentor zum Einfahren auf. Drinnen findet man nur äußerst spärliche Festmachemöglichkeiten, es gibt meist nur drei Poller auf der Schleusenmauer, und die stehen nicht einmal am Rand. Hat man das Schiff glücklich festgemacht, was besonders beim   Aufwärtsschleusen nicht einfach ist, betätigt man eine blaue Stange und der Schleusenvorgang geht sofort los – Wasser schießt mit gewaltigem Schwall in die Schleusenkammer, und wir haben alle Mühe "Moses" festzuhalten. Eine Schleusung dauert so nur jeweils 10 Minuten. Andere Schiffe begegnen uns kaum, wir sind in jeder Schleuse alleine.
Viele Orte in Frankreich haben einladende Anleger für vorbeifahrende Schiffe eingerichtet. Ein Willkommensschild, Blumenarrangements, Picknickbänke, Wasserversorgung, Müllentsorgung, häufig sogar Stromanschluss – und alles umsonst.

Nächste Station ist Reims. In unseren schlauen Büchern steht etwas von guten Liegemöglichkeiten. Die gibt es auch, aber auf der einen Seite ist die Autobahn, auf der anderen eine Schnellstraße, vor und hinter uns jeweils eine stark befahrene Brücke – bloß schnell wieder weg. Aber die Kathedrale wollen wir natürlich sehen. Staunend, ergriffen, ehrfurchtsvoll stehen wir vor diesem großartigen Bauwerk. Außen über und über mit Figuren bedeckt, innen nicht Überladenes - aber diese wunderbaren Fenster! Leider ist der Himmel bedeckt, so dass es kein Farbenspiel auf dem Boden gibt. Wir laufen und radeln noch ein bisschen durch die reizvolle Stadt und bedauern, wegen des Lärms nicht über Nacht bleiben zu können

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Am nächsten Tag steht uns die Fahrt durch den 2 km langen Tunnel „Souterrain de Mont-de-Billy“ bevor. Schon vor dem Tunnel geht es an beiden Seiten des Kanals steil nach oben, schließlich liegt vor uns fast bedrohlich das dunkle Loch der Tunneleinfahrt. Netterweise hat man die Tunnelbeleuchtung eingeschaltet. Bei der Einfahrt schlägt uns eine feuchtheiße modrige Luft entgegen, die Brillengläser beschlagen. Zwei Kilometer lang ist diese Röhre mit 3,70 m Höhe und 5 m Breite. An Steuerbord liegt ein durchgehend gepolsterter Abweiser, daneben Schienen für eine Bahn, die früher die Schiffe durchgezogen hat. 2 km/h darf man nur fahren, wir atmen erleichtert auf, als wir nach einer Stunde wieder draußen sind.
Wenig später hat Per das Gefühl, es würde eine ungewöhnliche Vibration durch das Schiff gehen. Zwischen zwei Schleusen sieht er nach und stellt fest, die Schrauben am Ausgleichslager der Welle haben sich so weit gelockert, dass nicht viel gefehlt hätte und das Lager wäre auseinander gefallen. Bevor die nächste Schleuse wieder zu macht, hat er die Schrauben fest gezogen und die Fahrt durch die Schleusentreppe kann weiter gehen. Das ist nicht die einzige Zwangspause an diesem Tag. Vor der letzten Schleuse nach Epernay, dem Mekka der Champagnertrinker, springt der Motor nicht an – kein Saft - zuerst Ratlosigkeit, also wieder in den Motorraum steigen. Von den drei Schrauben der Lichtmaschine sind zwei rausgefallen, die Schrauben an der Welle sind auch schon wieder locker, vom Ladegerät für die Motorbatterie sind die Zuleitungskabel für die Sicherung verschmort. Nach 2 ½ Stunden im Motorraum läuft der Motor wieder, aber die Schleuse hat inzwischen Feierabend.
Also kommen wir erst am nächsten Tag nach Epernay. Direkt unterhalb der Kellerei De Castellane mit ihrem beeindruckenden Campanile gibt es einen winzigen Anleger für drei Boote, wir können nur noch dahinter an der Böschung festmachen. Beim Radeln durch die Avenue de Champagne passieren wir berühmte und äußerst prachtvolle Champagnerhäuser aus dem 19. Jahrhundert, wie z.B. Moet & Chandon, Mercier, Pol Roger. Hier sieht man, wie viel Geld mit diesem Getränk verdient werden kann. Wir entscheiden uns für die Besichtigung der Kellerei Mercier. Es hat zwar ein bisschen von Disney-Land, ist aber trotzdem ganz interessant. Mit einem gläsernen Fahrstuhl geht es vorbei an Szenen über die Herstellung des Champagner in die 18 km langen Katakomben, wo der Champus bei konstanten 10°C und 90 % Luftfeuchtigkeit gerüttelt und gelagert wird. Am Ende der Tour gibt es ein Gläschen zur Probe – der Champus von Aldi schmeckt uns besser.
Von jetzt an folgen wir dem schönen Flusslauf der Marne. Zu beiden Seiten hat sie meist eine dichte Mauer aus Bäumen und Büschen. Eisvögel mit ihrem metallisch schimmernden Gefieder in Grün und Rot huschen über das Wasser. Zum ersten Mal sehe ich einen von ihnen fischen. Weiden hängen weit über das Wasser und scheinen jeden Augenblick in den Fluss zu fallen. Aus umgestürzten Stämmen treiben neue Äste, Kletterpflanzen winden sich üppig und ersticken andere Gewächse. Tote Bäume recken ihre Äste in den Himmel, Raubvögel nutzen sie als Ausguck. Misteln haben von einigen Bäumen so vollständig Besitz ergriffen, dass die davon abgestorben sind und ihre Schmarotzer nun auch nicht mehr überleben können. Hinter dem Bewuchs der Ufer erheben sich Hügel mit dichtem Laubwald. Schwarzgrün, oliv, hellgrün, dunkelgrün, lindgrün – alle Grüntöne sind hier vertreten. Oft reichen die bewaldeten Hügel bis an die Ufer, und vor Flussschleifen scheint es, als würden wir in den Wald hinein fahren, dann kommt die Flussbiegung und eine neue Szenerie erscheint. Noch immer sind die Südhänge oft mit Wein bedeckt, aber ihre Zahl nimmt ab, wir verlassen die Champagne. Die Weizenfelder sind schon abgeerntet, und in der Abendsonne leuchten die Stoppelfelder goldgelb. Ab und zu kommen wir an hochherrschaftlichen Häusern vorbei, umgeben von Parks und hohen Mauern. Als Kontrast finden sich Unterstände aus Brettern und Plastikplanen im dichten Gestrüpp des Ufers, denn die Franzosen sind ein Volk von Anglern. Zu unserem Erstaunen hat das Wasser der Marne ein helles Türkis und nicht das Grau anderer Flüsse. An den meisten Stellen ist sie etwa 50 m breit und unterstützt mit einer Fließgeschwindigkeit von 1 km unsere Fahrt.
Zwei Tage später sind die Hügel fast vollständig verschwunden, Weinberge sieht man gar nicht mehr, die Landschaft ist überwiegend flach, und bald darauf erreichen wir Meaux, gut 50 km östlich von Paris. Unter einer blumengeschmückten Brücke über die Marne wieder ein kostenloser Anleger mit Strom und Wasser und einem großartigen Blick auf die gotische Kathedrale. Meaux ist seit 375 Bischofssitz und wurde durch den Geschichtsschreiber und Kanzelredner Bossuet berühmt (1627 – 1704). Kennt Ihr den? Wir leider nicht. Meaux hat ihm ein Museum gewidmet und Statuen zu seiner Erinnerung aufgestellt.
Uns imponiert besonders der Garten neben dem Museum. Neben Beeten, die wie bunte Sommersträuße aussehen, dienen auch Nutzpflanzen (z.B. Kohl, Sellerie, Kräuter, Topinambur, Tomaten) zur kunstvollen Gartengestaltung.

Paris wir kommen - aber erst müssen wir noch durch dichter besiedeltes Gebiet teils auf der Marne, teils auf langweiligen Seitenkanälen.

10. August: 4 Schleusen und ein 200 m langer Tunnel, ein letzter kostenloser Nachtplatz am Anleger vor einer Schleuse – noch 19 Kilometer bis Paris.
11. August: Ein weiterer Tunnel und ein paar Schleusen, dann die Einmündung in die Seine. Endlich vor uns "Notre Dame" - unser Traum hier festzumachen ist schnell verflogen - Anlegen verboten. Wir müssen in den Hafen für Sportboote, den Port de l’Arsenal. Er ist direkt am Place de la Bastille, ruhig, sicher und sehr teuer (47,40 € pro Nacht). Jetzt können wir in das Pariser Leben eintauchen. Wir sind 2 von 20 Millionen Besuchern pro Jahr.

 

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© Per & Sylvia Pehle