Von Berlin bis Leeuwarden
10. Juni bis 1. Juli 2006

Für die Schnellleser – 20Tage unterwegs, 807 km zurückgelegt (immerhin rund 14 % von der für die gesamte Tour berechneten Kilometerzahl) und davon etwa 700 km langweilige kanalisierte Strecken gefahren.

Für die, die mehr wissen wollen:
Wie bei Pehles üblich war der Aufbruch chaotisch und hektisch – Kathrin, Bert, Ines und Carlo begleiten uns bis Potsdam, machen sich wieder mit dem Schiff vertraut, denn in Holland werden sie "Moses" für drei Wochen übernehmen, während wir mit ihrem Wohnmobil unterwegs sein wollen. Am 13. Juni haben wir die erste Unterbrechung. „Moses“ wird auf der Bolle-Werft aus dem Wasser geholt, das Unterwasserschiff abgekärchert, dann arbeiten wir schweißtriefend bei glühender Hitze an der Außenhaut und im Maschinenraum.

Nach einem Tag Arbeit ist alles klar für die Weiterreise, mittags sind wir wieder im Wasser und kommen über das Wasserstraßenkreuz bei Magdeburg in den langeiligen Mittellandkanal bis zur alten Grenzkontrollstelle Rühen. Am 16. Juni werden wir an der Schleuse vor Hannover von Freund Hannes mit einem Jodler begrüßt und mit ihm, Astrid und Dieter an Bord geht's in den Stadthafen. Der Mittellandkanal wird auch nach Hannover nicht schöner, in Minden schippern wir erst auf einer Kanalbrücke über die Weser hinweg und dann durch eine Schachtschleuse hinunter in die Weser. Aber die ist hier kanalisiert und nicht besonders reizvoll. Nienburg ist ein sympathisches Städtchen, es lohnt einen Zwischenstopp mit Stadtrundgang. Die Weiterfahrt wird interessanter, weil die Weser jetzt eher einem Fluss als einem Kanal ähnelt. In Bremen kommen wir an, nachdem Deutschland gegen Ecuador 3:0 gewonnen hat, entsprechend sind die Bremer Stadtmusikanten los.

Tags drauf geht's durch das Hunte-Speerwerk. Weserabwärts hat uns die Tide unterstützt, dafür kommt sie uns in der Hunte mit 5 km/h entgegen, „Moses“ kämpft sich gegen Wind und Tide mit 6 km/h voran. Nachmittags erreichen wir Oldenburg.
Von hier führt der Küstenkanal weiter in die Ems. Er ist nicht nur stinklangweilig, sondern man kann den LKW-Fahrern fast die Stulle klauen, weil die Bundesstraße direkt am Ufer entlang führt. Wir wollen in den Elisabethfehnkanal flüchten, er soll hübsch sein und ist außerdem kürzer. Aber es soll nicht sein, kurz vorm Einbiegen erfahren wir, dass der Kanal wegen eines Defekts für die nächsten drei Tage gesperrt ist – also kosten wir den Küstenkanal bis zum bitteren Ende aus – seiner Einmündung in die Ems.

Die nächste Station ist Papenburg. Wir bleiben außerhalb der Gezeitengewässer in einem Wehrgraben liegen und tun was für die Kondition. Auf den Fahrrädern strampeln wir 20 km in das schnuckelige Städtchen. Die Weiterfahrt am nächsten Tag richten wir uns so ein, dass wir nach der Schleuse Papenburg mit dem ablaufenden Wasser die Ems mit der für uns gewaltigen Geschwindigkeit von 16 km/h herunterrauschen. Während der Fahrt gibt es für mich Nachhilfe: „Nein, die umgekehrten Reisigbesen weisen nicht auf eine nahe Besenwirtschaft hin, es sind Priggen, und sie zeigen die Fahrwasserbegrenzung an.“ An der Einmündung der Ems in den Dollard passieren wir ein gewaltiges Sperrwerk. Es wurde aus Steuermitteln errichtet, damit die auf der Meyer-Werft in Papenburg gebauten Schiffe (z.B. 2002 ein Kreuzfahrtschiff von 300 m Länge) für ihre Fahrt in die Nordsee durch Aufstauen die nötige Wassertiefe haben. Es ist kalt und regnerisch, und der Wind bläst uns mit 5 Windstärken ins Gesicht. So sind wir froh, als wir schließlich in Emden im Yachthafen, gegenüber dem Fähranleger für die Fähren nach Borkum, festmachen. Wir müssen eine Zwangspause einlegen, unser Funkgerät ist defekt.

Am 27. Juni ist der Himmel bleigrau, 15°C und Nieselregen. Wir müssen über den Dollard, eine große Wasserfläche, vor deren Überquerung ich mich fürchte denn unser Plattbodenschiff hat keinen Kiel und kann kentern. Per hat das Niedrigwasser als günstigste Zeit für die Überfahrt festgelegt, weil große Teile des Dollard trocken fallen und nur die Fahrwasserrinne noch Wasser führt, daher kann sich kein großer Seegang aufbauen. Aber bei der Überfahrt ist mir trotzdem nicht recht wohl, denn wenn Moses mit dem Bug durch die Wellen stampft, spritzt die Gischt bis zu uns ans Steuer. Ein dicker Hochseeschlepper zieht mit einer mächtigen Bugwelle an uns vorbei. Per dreht Moses so, dass wir die Welle schräg von achtern bekommen, trotzdem schwankt Moses mächtig, und mir rutscht das Herz in die Hose. Nach eineinhalb Stunden ist es geschafft, wir erreichen die Hafeneinfahrt von Delfzijl. Die Einfahrt nach Emden war schon nicht besonders schön, aber diese Einfahrt hier ist eine Beleidigung für die Sinne. Das Ufer ist gesäumt von Raffinerien, es ist laut und stinkt. Noch eine Schleuse und ein schnurgerader Kanal, dann sind wir in Groningen. Hier kommt Freude auf: Was für eine herrliche Fahrt durch eine schöne Stadt. Wir finden einen Liegeplatz direkt neben der Altstadt und laufen gleich los zur Stadtbesichtigung. Heute ist Markt, die Stadt ist voller Leben. Alle scheinen Fahrrad zu fahren, der Fahrradverkehr bricht an einigen Kreuzungen fast zusammen, man sieht kaum Autos. Die Straßen sind gesäumt von zweigeschossigen Häusern, alle unterschiedlich und eins hübscher als das andere. Das Wetter hat sich gebessert, wir klettern 70 Meter hoch auf den Martiniturm, die Mühe wird mit einer schönen Aussicht über die Stadt belohnt. „Moses“ fühlt sich zu Hause, denn er ist ja eine Groninger Tjalk. Nur einer hat sich in Groningen nicht wohl gefühlt, Kater Felix durfte nicht nachts draußen herumwuseln. Der nächste Vormittag wird im Schifffahrtsmuseum verbracht, Per fotografiert alle ausgestellten Modelle von Tjalken - und es gibt reichlich davon.

Bei der Weiterfahrt durch Groningen geht es an zahllosen Hausbooten vorbei, die von luxuriös bis vergammelt die Kanalufer säumen. Mit einem kleinen Konvoi von 3 Schiffen fahren wir durch die Dreh-, Hebe- oder Hubbrücken, vor denen der Verkehr angehalten wird, wenn Schiffe passieren wollen. Nach Groningen windet sich der „Reitdiep“ durch flaches, landwirtschaftlich genutztes Land. Felix hatten wir für die nächste Nacht einen Katzenplatz versprochen, und wir finden ihn an der Kanalböschung. Nach zehn Minuten kommt er stolz mit einer Maus an Deck.
Es geht weiter bei Sonnenschein bis zum Lauwersmeer, der seit der Eindeichung ein schilfumsäumter Binnensee ist. Bei der Überfahrt haben wir ungemütliche 6 Wind-  stärken und sind daher froh, als wir wieder in schmalem Gewässer sind.
Im Städtchen Dokkum haben wir schließlich Holland wie aus dem Bilderbuch: Windmühlen, die kleinen Häuser direkt am schmalen Wasser, die Leute sitzen davor und winken uns freundlich zu. Es geht weiter auf dem „Dokkumer Ee“, einem Wiesenfluss, der durch parkähnliche Wiesen- und Polderlandschaft führt, vorbei an prächtigen Gehöften und durch malerische kleine Dörfer. Das Wetter wird immer besser, es ist keine Wolke am Himmel und der Wind hat nachgelassen.

Als wir in Leeuwarden ankommen, wundern wir uns über die unzähligen Schiffe, die fast alle über die Toppen geflaggt sind. Sie liegen oft in Viererpäckchen am Kanalufer, so dass ein Durchkommen schon schwierig ist. Auch wir finden nur noch einen Platz an der Seite einer anderen Groninger Tjalk, allerdings wesentlich größer als unsere. Zufällig sind wir mitten in die nur alle vier Jahre stattfindende Frieslandfahrt gelangt. Beim Bummel genießen wir die fast südländische Atmosphäre in der schönen Altstadt. Kein Mensch interessiert sich hier für Fußball, obwohl Deutschland doch gerade gegen Argentinien gewonnen hat.

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© Per & Sylvia Pehle